317 - Die letzten Stunden von Sodom
verwandelte sich Graos Unterschenkel in die Schuppenhaut seines echten Körpers. Die Kreatur biss zu – und scheiterte an der harten Panzerung. Mit seinem Säbel wischte Grao die Assel von seinem Bein und zertrat sie. Im selben Moment glätteten sich die Schuppen wieder, bis seine Haut wieder menschlich aussah. Niemand hatte etwas davon bemerkt.
»Du kannst dich also vor den Biestern schützen«, stellte Matt fest, während sich die Prinzessin, die ihm mit einem Schwall unverständlicher Worte dankte, voller Angst an ihn klammerte.
»Sieht so aus.« Grao nickte. »Ich wusste es selbst nicht. Es war reiner Instinkt...«
Nach einigen Schrecksekunden fasste sich Orphea wieder und schrie die zahlreichen Gaffer an, die Reste des Untoten und die zerstampften Asseln mit Öl zu übergießen und anzuzünden.
Inzwischen waren etwa zwei Dutzend Gardisten unter Rottenführer Noel eingetroffen. Orphea verpflichtete acht Mann davon, sich der Sänfte anzunehmen, und stieg wieder ein. Dann winkte sie Matt zu sich, kniff ihm in die Wange und sprach in einem vertraulich wirkenden Tonfall auf ihn ein. Da Matt befürchtete, dass es Folgen haben konnte, nichts zu verstehen und trotzdem zu nicken, rief er Xij, die an seine Seite trat und der Prinzessin erklärte, dass er ein Angel aus dem Angelland war.
»Engelland?«, fragte die Prinzessin. »Fürwahr, wie ein Engel hat er sich mir offenbart.« Sie tätschelte Matts Hand. »Wie ist dein Name, wackerer Mann?«
»Man nennt ihn Maddrax«, antwortete Xij.
»Ein schöner Name.« Orphea nickte. »Ich bedanke mich für euer Eingreifen und lade euch zum Lohn für heute Abend an die königliche Tafel in den Palast ein.«
Sie wies die Gardisten an, die Sänfte anzuheben, doch bevor sie abrückte, winkte sie Noel heran, der sich ihr untertänig näherte. Orphea fauchte ihm einen kurzen Satz entgegen, den Noel mit einem Nicken quittierte. Dann gab sie den Gardisten den Befehl, sie nach Hause zu bringen.
»Was hat sie zu Noel gesagt?«, fragte Matt.
Xij wirkte wie vor den Kopf gestoßen, und sie musste schlucken. »Sie hat ihn angewiesen, die geflohenen Träger zu suchen und zu vierteilen.«
***
Einen halben Kilometer hinter der Stadtmauer fiel das Land zum Asphaltsee hin ab. Je näher sie dem Wasser kamen, umso dichter standen die knorrigen Bäume und Dornenbüsche.
Verschiedenfarbige Echsen dösten in der Sonne, wurden aber sehr aktiv, wenn sie die Vibrationen sich nähernder Schritte spürten. Zwischen den Büschen und am Ufer des Toten Meeres meckerten Ziegen. Sie nahmen geradezu hysterisch Reißaus, als sie Grao erblickten. Spürten sie, dass er kein Mensch war?
Zehn Meter vom Wasser entfernt stießen sie auf die ausglühenden Reste eines Lagerfeuers und einen kleinen Karren, den sie schon einmal gesehen hatten.
Matt winkte Grao zu. »Halte mal nach diesen Höhlen Ausschau, von denen der Gelehrte erzählt hat. Mit deinem Schuppenpanzer bist du am wenigsten gefährdet.«
Grao gab den Anschein auf, ein Mensch zu sein. In seiner Echsengestalt verschwand er zwischen den Büschen.
Matt wandte sich Xij zu. »Wenn ich mich nicht irre, gehört der Karren unserem Hirten.«
»Ja.« Xij kramte in dem Wägelchen herum und enthüllte einige Gegenstände, die sie auch tags zuvor schon gesehen hatten. »Wo ist er hin?« Sie deutete auf das Lagerfeuer. »Sein Essen ist jedenfalls mehr als angebraten.«
An einem glühenden Spieß, der im Feuer lag, briet ein ziemlich verschmortes und verschrumpeltes Stück Fleisch vor sich hin. Matt schob es mit dem Fuß beiseite.
Der Hirte hatte sich eine Mahlzeit zubereiten wollen, war aber nicht mehr dazu gekommen, sie zu verzehren. Wieso nicht? Matt suchte den Lagerplatz ab. Der Grund war hier nicht felsig. Die Spuren, die er entdeckte, sahen aus, als hätte sie jemand hinterlassen, der entweder betrunken oder nicht Herr seiner Sinne gewesen war.
Wie Frankensteins Ungeheuer... Matt kamen unangenehme Assoziationen. Sie nahmen konkretere Formen an, als sie dem Pfad folgten, den Grao gegangen war: Er führte durch ein Dornendickicht und endete an einer fünf Meter hohen Felswand, in der sich mehrere Höhleneingänge unterschiedlicher Größe befanden.
Grao’sil’aana deutete wortlos auf den Eingang der größten Höhle. Matt ging ein paar Schritte voraus und warf einen Blick in die Finsternis. Zwei Schritte später schlug ihm ein ätzender Gestank entgegen, der seine Augen tränen ließ. Es roch nach ausgeweideten Kadavern und fauligem Gas.
Matt
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