317 - Die letzten Stunden von Sodom
er, Melchior, als erster Profiteur der Hauptverdächtige.
»Ich habe eine Idee!«, sagte der Hauptmann. »Heute Abend führen wir eine Begehung der königlichen Verliese durch. Du wirst daran teilnehmen und dir zwei oder drei passende Räuber aussuchen, denen ohnehin der Strick droht. Probiere an ihnen dein Mittel aus. Bring ein paar Fläschchen mit, die du ihnen als Arznei verabreichst.« Er lachte. »Die königlichen Verliese sind feucht und kalt. Da unten gibt es niemanden, der nicht nach drei Tagen anfängt zu husten.«
»Auf keinen Fall!« Ismael machte eine abweisende Geste. »Irgendein Wächter könnte mich später denunzieren.«
»Dann mache ich es selbst, verflucht!« Melchior stampfte mit dem Fuß auf. »Du füllst dein Gift ab und bringst es noch heute in meine Gemächer!«
»Schön.« Ismael lächelte wieder. »Und nun zu Orphea, deiner hübschen Schwester...«
»Ich habe versprochen, sie dir zur Frau zu geben, wenn ich erst König bin, Ismael – was willst du noch?«
»Ich möchte nur wissen, ob sie vielleicht etwas dagegen hat, dass mir nicht nur Frauen gefallen, sondern auch...«
Ziegen? Doch bevor Melchior es aussprechen konnte, wurden sie durch lautes Kommandogebrüll abgelenkt. Er trat ans Fenster. »Was ist da los?«
Zwei Stockwerke unter ihm lief ein Gardistentrupp mit gezückten Klingen über den Marktplatz und verschwand in einer Gasse, die man von dieser Position nicht einsehen konnte. Angeführt wurden die Männer von Rottenführer Noel. Melchior erkannte Xij, der im Gegensatz zu den anderen nicht uniformiert war.
»Was ist da los?« Ismael drängte sich neben ihn und reckte neugierig den Hals.
»Keine Ahnung, aber es sieht nach Problemen aus.« Melchior klopfte Ismael auf den Unterarm und eilte zur Tür. »Du weißt, was du zu tun hast.«
Zwei Minuten später knallte die Tür des Hauses hinter ihm ins Schloss, und er lief, als sei Kroak ihm auf den Fersen, dorthin, wo er seine Männer hatte verschwinden sehen. Mehrere Menschen, die ihm entgegen kamen, verbeugten sich bei seinem Anblick; andere, die wohl ahnten, wohin er wollte, wiesen ihm bereitwillig den Weg.
So gelangte Melchior auf den Marktplatz und zu einer der vielen von ihm abzweigenden Gassen, in der sich die Werkstatt des Sargtischlers Eber befand. Vor Ebers Haus lag ein übel riechender, schwarz verbrannter Korpus, der menschliche Formen aufwies – allerdings ohne Kopf. Ein Gardist war gerade im Begriff, ihn mit einem Tuch zu bedecken. In der Gasse hielten sich viele gestikulierende und durcheinanderredende Bürger auf.
»Wer ist das?«, fragte Melchior den Gardisten mit der Decke.
Der nahm Haltung an. »Ein gewisser Nemor, Hauptmann. Er ist gestern gestorben.«
»Hat man ihn geköpft? Und hier verbrannt?«
Der Gardist schüttelte heftig den Kopf. »Ähm, nein, Hauptmann, nicht direkt. Ich meine, verbrannt hat man ihn schon, aber aus anderem Grund...«
Bevor Hauptmann Melchior explodieren und den Gardisten zusammenstauchen konnte, löste sich Rottenführer Noel aus dem Pulk und erstattete Meldung. Einige Gardisten, unter ihnen Maddrax, Grao und Xij, hinderten die Nachbarn daran, das Gebäude zu betreten.
»Was sagst du da?« Melchior stierte Noel an. »Von den Toten auferstanden?« Er spürte, dass sich seine Nackenhaare sträubten. Welche dämonische Macht war hier am Werk?
»Der Gardist Enoch bezeugt es«, sagte Noel. »Er wohnt in dieser Gasse und war auf dem Weg zum Dienst, als es geschah. Er hat es selbst gesehen und sofort die Garde alarmiert.« Er winkte einen noch jungen und sehr bleichen Soldaten heran.
Melchior hörte sich alles an, was Enoch zu berichten hatte. Dann erst bahnte er sich eine Gasse.
Als er zu Xij trat, beugte er sich halb hinab. »Noch nicht uniformiert, mein Lieber? Das müsste ich eigentlich als Verstoß gegen die Vorschriften ahnden.« Er lächelte milde. »Aber ich weiß schon, wie du die Strafe heute Nacht auf andere Weise begleichen kannst.« Dann räusperte er sich und fuhr laut fort: »Tretet zur Seite!« Er schob den Kopf in Ebers verwaiste Werkstatt hinein.
Xij lugte neben Melchior in den Raum. »Du weißt, was hier geschehen ist?«
»Ich kann es kaum glauben.« Melchior begutachtete stirnrunzelnd die Werkstatt. Die Löcher in den Bodendielen, auf die Noel hingewiesen hatte, interessierten ihn besonders. Für Noel waren sie ein Beweis, dass die Kreaturen aus der Unterwelt gekommen waren.
Melchior rief nach Enoch. Der Gardist trat nervös an seine Seite und berichtete
Weitere Kostenlose Bücher