317 - Die letzten Stunden von Sodom
um.
»Das Gift hat eine unverhoffte Wirkung gezeigt«, führte Maddrax aus. Dann ging er in die Einzelheiten. Er klang froh und voller Tatendrang, was Melchior misstrauisch machte. Was kümmerte diesen Engelländer das Schicksal der Stadt? Er war kein Sodomiter, sondern hatte nur einem Befehl zu folgen. Keiner von Melchiors Gardisten lege bei der Erfüllung seiner Pflichten Begeisterung an den Tag.
Für den Hauptmann lag die Vermutung nahe, dass die Fremden ihren eigenen Zielen folgten und sich kurz vor deren Vollendung wähnten. Dazu passte, dass Maddrax den Tanz des Echsendämons mit den Asseln mit keinem Wort erwähnte. Alles an ihm war Verstellung. Sie waren sicher im Auftrag dieser Druiden gekommen, und Kroak allein kannte ihre Pläne.
Gut, dass er den Kontakt zu Xij bereits gestern eingestellt hatte – sonst wäre er womöglich heute Morgen mit durchschnittener Kehle aufgewacht. Er musste auch weiterhin behutsam agieren, durfte sich keine Fehler leisten...
»Was sagst du dazu, Hauptmann?«, drang Xijs Stimme durch seine Gedanken.
»Wie? Was?« Melchior lächelte verlegen.
»Maddrax fragt, ob dein Giftmischer bis morgen ein Fass von diesem Pulver bereitstellen kann.«
»Oh, sicher.« Melchior nickte abwesend. Wenn alles nach Plan ging, würde es für die drei kein Morgen geben. Und dieser Plan verlangte nun nach dem nächsten Schritt. Melchior wandte sich an Xij. »Eins noch, mein Lieber«, sagte er. »Ich muss darauf bestehen, dass du auch dem Herrscher selbst Bericht erstattest, und zwar noch heute Abend.«
»Ich?« Xij runzelte die Stirn. Schwante ihr vielleicht etwas? »Sollte nicht lieber Maddrax...?«
»Aber nein, mein Lieber.« Melchior winkte ab. »Da er unsere Sprache ohnehin nicht beherrscht und du Kenntnis von allen Details besitzt, wäre es überflüssig, den König mit einem weiteren Gast zu belästigen. Es genügt, wenn du allein erscheinst. Melde dich beim dritten Trompetenstoß nach Sonnenuntergang an der Pforte zu den Gemächern meines Bruders. Und wenn du in der Gunst Orloks steigen willst, dann bring ihm eine kleine Amphore Wein mit. Schweren Roten, den liebt er!«
***
Hauptmann Melchior hatte bei der Einladung so eigenartig dreingeschaut, dass es Xij schwerfiel, ihr Unbehagen zu unterdrücken, als sie Stunden später in Begleitung von Matt und Grao zum König unterwegs war.
Nun bestand sie aber auch nicht aus Zucker und hatte sich in ihren bisherigen Existenzen mit vielerlei Kroppzeug herumgeschlagen – machtgierigen Thronräubern beider Geschlechter inklusive.
Leider unterschied sich die Situation diesmal von der früherer Existenzen. Zum einen war Xij bislang dem Tod immer wieder von der Schippe gesprungen, indem ihr Geist bei einem Ableben in den Fötus einer schwangeren Frau irgendwo auf der Welt übergewechselt war, etwa sechs Monate vor dessen Geburt. Seit ihre erste Existenz – die Geistwanderin Manil’bud – sie jedoch in Venedig verlassen hatte, war es möglich, dass diese Fähigkeit mit ihr verlorengegangen war.
Und noch aus einem zweiten Grund durfte Xij sich nicht in Gefahr bringen: Wenn sie starb, würden Matt und Grao in dieser Epoche festsitzen. Nur zu dritt konnten sie das Zeitportal durchschreiten.
Und ja, verdammt noch mal, da gab es auch noch einen dritten Grund: Je länger sie mit Matthew Drax zusammen war, umso größer wurden ihre Skrupel, nach den alten Prinzipien zu leben: die Nase im Wind, jede Chance nutzen, und wer ihr in die Quere kam, kassierte einen Tritt in die Eier. Kein Zweifel: Sie hatte sich in den blonden Strahlemann verguckt, auch wenn sie das lange geleugnet hatte.
»Was seufzt du?«, fragte Matt als sie im obersten Stockwerk des Palastes die riesige, von einem halben Dutzend Gardisten bewachte Flügeltür sahen.
»Am liebsten Pils«, ulkte Xij und blickte unwillkürlich auf die handliche Weinamphore, die sie vorhin noch in der Stadt organisiert hatte. Sie freute sich, dass sie den Gang nach Canossa nicht ohne Rückendeckung gehen musste: Melchior hatte sie zwar allein zum Rapport beim König gebeten, doch was sprach dagegen, wenn Grao und Matt sie zu seiner Tür begleiteten?
Enoch gehörte ebenfalls zu den Türstehern, denen sie nun gegenübertraten. Er freute sich, die drei Helden wieder zu sehen.
»Unglaublich, wie schnell ihr Karriere gemacht habt«, sagte er und bedeutete seinen Kameraden, die hohe Tür zu öffnen. »Ihr seid erst ein paar Tage hier und werdet schon in die Gemächer des Königs eingeladen.« Er wies auf
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