317 - Die letzten Stunden von Sodom
auf den Daa’muren gehabt hätte. Trotzdem sprang Grao im Reflex zurück – und gleich wieder vor, um die Amphore aufzurichten, bevor sie leer lief.
Da plötzlich begann der Boden, auf dem er stand, regelrecht zu brodeln. Dutzende von Asseln gruben sich aus der Erde hervor und hatten in Sekundenschnelle Graos Beine erklommen. Seltsamerweise kletterten sie nicht höher, sondern bleiben in dem Bereich, den der Sud benetzt hatte. Grao’sil’aana fluchte auf Daa’murisch und schlug mit beiden Händen die Asseln beiseite. Schaden konnten sie ihm offenbar nicht.
Matt und Xij waren beim ersten Anzeichen von Gefahr zurückgewichen. Matt zog eine Fackel unter seinem Gürtel hervor und Xij produzierte mit den Feuersteinen so lange Funken, bis die mit brennbarer Flüssigkeit getränkte Spitze aufflammte.
Derweil stampfte Grao wild auf dem Boden herum. Er wirkte wie ein wütender Derwisch; wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte man darüber grinsen können.
Seltsam, dass die Asseln nur ihn ansteuern, dachte Matt. Dann fiel der Groschen: Sie wurden ganz offensichtlich von dem Gift angezogen – ohne jedoch daran zu verrecken.
Er näherte sich dem Daa’muren, um mit der Fackel gegen die Brut vorzugehen. Dabei machte er eine weitere skurrile Entdeckung: Die Asseln, die mit dem Gift in Berührung gekommen waren, blähten sich auf, bis sie die Größe von Krapfen erreichten.
Regt das Zeug auch noch ihr Wachstum an? Matt schauderte. Das fehlte gerade noch. Schon in ihrer normalen Größe waren die Asseln brandgefährlich.
Apropos Brand... Er reckte die Fackel vor und traf eine Assel, die sich an der äußeren Peripherie um Grao aufhielt.
PENG!
Zu Matts Überraschung zerplatzte das Biest in einem kleinen Feuerball und flog in alle Richtungen auseinander.
Dafür hatte er nur eine Erklärung: Das Gift musste Gase in den Viechern erzeugen, durch die sie sich aufblähten – explosive Gase!
»Ich glaube, das Gift wirkt!«, hörte er Xij rufen, die wohl ähnlichen Gedankengängen folgte. »Nur anders, als wir es erwartet hatten.«
Matt stieß einen Fluch aus. »Das ist gar nicht gut!«, antwortete er. »Dann rotten wir sie mit dem Gift nicht aus, sondern erhöhen die Gefahr nur. Stellt euch vor, was passiert, wenn eins der Viecher das Gas unter der Stadt zündet.«
Grao knurrte nur. Nach wie vor zertrampelte er die Asseln, die, anders als zuvor, nicht im Boden Schutz suchten, sondern weiterhin gierig seine Beine erklommen.
»Ich stell’s mir gerade vor«, sagte Xij. »Das wäre ungefähr so, als ginge jemand mit einem Flammenwerfer auf Dynamitpatronen los. Was machen wir jetzt?«
Matt verwandelte drei weitere Asseln in Knallkörper. Solange hier kein Gas austrat, war die Situation unter Kontrolle. »Genau betrachtet ist die Aktion zwar anders verlaufen als gedacht, aber man kann sie durchaus als Erfolg werten.«
»Wirklich?«, fragte Grao. Er schüttelte die letzten Asseln ab und zertrat sie unter seinen Echsenfüßen.
»Komisch, dass ausgerechnet du das fragst«, entgegnete Matt. »Dabei war es doch deine Idee: Mit dem Gift haben wir ein Lockmittel, dem die Viecher nicht widerstehen können. Es sollte möglich sein, sie damit aus dem Boden zu locken und zu vernichten.«
»Genau!«, stimmte Xij zu. »Wenn Melchior uns ein ganzes Fass von diesem Pulver und hundert Amphoren beschafft, können wir morgen damit anfangen, jene Orte zu befeuchten, in denen die Asseln schon mal aktiv waren. Dann brauchen wir nur noch eine Hundertschaft Gardisten, die mit Schutzanzügen unter den Biestern aufräumen.«
Eine leise Euphorie hatte Matthew Drax ergriffen. Das Assel-Problem, das ihm vorhin noch heftiges Magengrimmen bereitet hatte, erschien plötzlich in einem neuen, optimistischeren Licht. Wenn dieser Plan funktionierte, würden sie die Bedrohung in wenigen Tagen oder gar Stunden abwehren können.
***
»Herr!«
Die Tür flog auf. Eine hagere Gestalt in einem dünnen Gewand stürzte über die Schwelle in den Raum hinein und stolperte über einen schmalen Läufer. Ehe Melchior den Blick heben konnte, lag der Bursche zu seinen Füßen auf dem Marmorboden.
Der Hauptmann musterte ihn unwirsch. Er arbeitete am Entwurf des goldenen Throns, auf dem er sitzen wollte, wenn Sodom ihm gehörte. Normalerweise ließ er sich nur ungern stören. Doch der nach Atem ringende Mann – ein Bediensteter, dessen Namen er sich nie gemerkt hatte – war angewiesen, sofort Meldung zu erstatten, wenn es etwas Neues über die
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