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317 - Die letzten Stunden von Sodom

317 - Die letzten Stunden von Sodom

Titel: 317 - Die letzten Stunden von Sodom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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Melchior hatte nicht den Eindruck, dass Maddrax und Grao erfreut waren, doch als Xij ihnen das Beutelchen zeigte, nickten sie.
    Melchior empfand klammheimliche Freude, als er zu ihnen ging und sie zu einer Mahlzeit in sein bevorzugtes Gasthaus einlud. Dem Anschein nach hatte er damit das Eis gebrochen: Die Mienen der neuen Rekruten erhellten sich. Als er losging, Xij an seiner Seite, folgten die Männer ihm.
    ***
    Die Statuen des Dämonen Kroak über vielen Haustüren erregten Xijs Aufmerksamkeit, sodass Melchior sich bemüßigt fühlte, auf dem Weg zum Gasthof ein wenig über die Götter zu erzählen, denen die Bewohner Sodoms huldigten.
    Dass er selbst kein Wort der Tempellehre glaubte, behielt er für sich: Wer sich im Jordanland als Atheist sah, war gut beraten, mit seiner Meinung nicht hausieren zu gehen. Die Anhänger der lokalen Götter unterschieden sich in ihrem Fanatismus nicht von denen anderer Kulte: Sobald sie Ungläubige erspähten, waren sie mit Teer und Federn schnell bei der Hand.
    Es nützte nichts, die Götter anzubeten: Er hatte den Obergott nach dem Ableben seines Vaters oft angefleht, seinen Bruder daran zu hindern, sich das Recht der Könige herauszunehmen und seine Mutter, König Beras Witwe, zu beschälen. Er hatte sein Flehen nicht erhört.
    Orlok hatte sich jahrelang nach Herzenslust an ihr verlustiert und sie dann durch seine Schwester ersetzt. Melchiors Mutter hatte sich von einem Balkon in den Hofgarten gestürzt und sich den Hals gebrochen: Laut amtlicher Verkündung aus Trauer über das Ableben Beras; in Wahrheit aber aus Gram, ihrer Tochter Platz machen zu müssen.
    Der Tod seiner Mutter hatte Melchior zum Apostaten gemacht. Kein Tag verging, an dem er dem Obergott seine Missachtung zeigte: Er bewahrte seine Statue in einen Spucknapf aus Messing auf.
    Außerdem dachte Melchior seit diesem Tag darüber nach, wie er Orlok töten und seinen Platz einnehmen konnte, ohne dass der Verdacht auf ihn fiel. Nun schien sich das Glück mehr und mehr auf seine Seite zu schlagen: Orlok wurde, was bei Hofe niemandem verborgen geblieben war, ziemlich wunderlich. Er verwechselte die Namen ihm ergebener Untertanen. Er stockte bei Gesprächen und Audienzen oftmals so lange, dass man glaubte, er hätte den Faden verloren. Manchmal äußerte er auch ellenlange Sätze ohne Hand und Fuß. Wäre Orlok ein Greis gewesen, hätte sein Verhalten niemanden geschert, doch er zählte erst fünfundvierzig Sommer.
    Seit Orlok sich wunderlich benahm, hörten seine Berater ihm besonders achtsam zu und legten jedes Wort auf die Goldwaage, um ihn nicht falsch zu interpretieren.
    Anfangs hatte Melchior sich die Hände gerieben: Er hoffte, dass Orloks Verblödung rasch voranschritt, denn Könige, deren Geist sich verwirrt hatte, waren für ein Reich eine tödliche Gefahr. Folgte das strategische Denken eines Monarchen nicht mehr der Logik, sondern dem Paarungsflug von Schmetterlingen, war es um das Reich bald geschehen.
    Leider nahm die Verwirrtheit des königlichen Hirns jedoch nicht weiter zu! Wer Orlok nicht näher kannte, hielt ihn bestenfalls für schrullig. Auch hinderte es ihn nicht daran, lasziven Lustbarkeiten zu frönen. Orloks Privatleben hatte Sodom im ganzen Jordanland einen zweifelhaften Ruf eingetragen. Das Gerücht, dass er wie ein ägyptischer Pharao darauf bestehe, dass seine Halbschwester Orphea sein Lager teile, trug nicht dazu bei, das Ansehen der Sodomiter in anderen Reichen zu steigern.
    »Da sind wir«, sagte Melchior und öffnete die Tür zum Gasthaus »Lavendelparadies«. Als er über die Schwelle trat, wurde es schlagartig ruhiger im Gastraum und man widmete sich betont intensiv dem Essen oder den Getränken.
    Melchior führte seine Gäste in seine Nische, die der Bühne gegenüberlag, auf der nach Mitternacht begabte Künstler Darbietungen zeigten, die man anderswo nicht zu sehen bekam.
    Der Wirt, ein schnauzbärtiger Hunne, kam diensteifrig hinter dem Tresen hervor und putzte den Tisch mit einem feuchten Tuch ab. Er begrüßte Melchior untertänig, ließ es sich aber nicht nehmen, auch die beiden Flachshaarigen mit interessierten Blicken zu mustern.
    Nachdem alle Platz genommen hatten, bestellte Melchior einen Krug seines Lieblingsweins und eine Fleischplatte für vier Personen. Der Wirt brüllte einem mageren Mädchen zu, was »der verehrte Herr Hauptmann« zu trinken wünschte und eilte in die Küche, um sich persönlich um die Zubereitung des Essens zu kümmern.
    Melchiors Blick schweifte

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