317 - Die letzten Stunden von Sodom
Humor, denn sie schütteten sich aus vor Lachen. Die Stimmung wurde so gut, dass sie den ganzen Abend im Lavendelparadies verbrachten. Da Melchior sich in seinem Leben nur selten so wohl gefühlt hatte, machte er eine ansehnliche Zeche, die er natürlich nicht zu bezahlen brauchte: Der Hunne freute sich, wenn der Bruder in seinem Haus verkehrte.
Das Letzte, woran Melchior sich erinnerte, war der Vierspänner, den ein Knecht des Hunnen ihm gegen Mitternacht besorgte.
Dann gingen in seinem Kopf alle Lichter aus.
***
Xij öffnete die Augen.
Ihr fiel alles wieder ein: Wie sie mit der Kutsche zum Palast gefahren waren. Wie Melchiors dienstbare Geister sie in Empfang genommen hatten. Wie sie selbst Maddrax’ Bedenken zerstreut hatte, mit dem betrunkenen Hauptmann nicht fertig zu werden. Wie Melchiors Majordomus, ein Rottenführer namens Noel, Matt und Grao in einen anderen Teil des Palastes komplimentiert und Melchior sich lallend an sie geklammert hatte. Seine Diener hatten ihm und dem »jungen Herrn« mit brennenden Kerzen den Weg zum Schlafgemach erhellt.
Dann schloss sich die Tür hinter ihnen. Im Schlafgemach war Melchior ohnmächtig umgefallen. Xij hatte ihn entkleidet, zu Bett gebracht und zugedeckt. Dann hatte sie seine luxuriösen Gemächer – zwölf Zimmer oder mehr – sehr sorgfältig in Augenschein genommen.
Sie hatte ein Schlüsselbrett gefunden, an dem auch eine hundertprozentige Kopie des Schlüssels an Melchiors Gürtel hing. Vermutlich gehörte er zur Waffenkammer; das glaubte sie an dem Anhänger mit den gekreuzten Krummsäbeln zu erkennen. Vorhin, auf dem Weg zu Melchiors Gemächern, wären sie nämlich an einer Pforte vorbeigekommen, die ein identisches Symbol zierte.
Vielleicht gab es in der Waffenkammer brennbare Substanzen, mit denen sie die Asseln , wie Grao die Seesternmonster nannte, vernichten konnten. Für Matthew war klar, dass sie diese Gegend und Zeit nicht verlassen konnten, ohne wenigstens versucht zu haben, die Biester zu beseitigen. Schließlich waren die Asseln erst durch ihre Schuld in die Vergangenheit gelangt und stellten eine ernsthafte Bedrohung für die Stadt und jeden Reisenden dar.
Grao sah das anders. Seit er erfahren hatte, dass Sodom eh dem Untergang geweiht war, spielte ein etwaiger Eingriff in die Zeitlinie für ihn keine Rolle mehr.
Und insgeheim gab Xij ihm recht. Aber Matt folgte – wie immer – seinem Gewissen. Er argumentierte, dass der Zeitpunkt, von dem die Bibel berichtete, noch Jahrhunderte entfernt sein konnte. Xij knurrte leise vor sich hin. Manchmal konnte der Mann ihr wirklich auf den Senkel gehen.
Da Melchior den Schlaf des Gerechten schlief und das Einzige, was sich noch an ihm regte, seine flatternden Gaumensegel waren, fragte sich Xij, ob sie sich allein zur Waffenkammer begeben und nachschauen sollte.
Im Palast war alles totenstill. Die Dienerschaft hatte sich, nun, da der Herr sturzbetrunken im Bett lag, ebenfalls aufs Ohr gelegt.
Doch dann spürte Xij den Stress des vergangenen Tages im pestgeschwängerten Venedig in ihren Knochen, den Marsch nach Sodom, die Prügelei am Stadttor und vor allem den Wein, den sie konsumiert hatte. Sie war selbst todmüde und sagte sich: Ein halbes Stündchen Schlaf kann ich mir schon gönnen.
Sie legte sich neben Melchior und dachte daran, dass sie in früheren Existenzen für eine Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf schon weit Schlimmeres über sich hatte ergehen lassen, als mit einem kleinen, aber doch ansehnlichen und nicht mal übel riechenden Hauptmann das Lager zu teilen. Diese Nacht würde sie vor ihm sicher sein. Nur wenn er ihr an die Wäsche ging und feststellte, dass sie seinen Neigungen nicht wirklich entsprach, würde es ein Problem geben.
Aber sie baute auf ihren Charme – und Melchiors Sorge, dass er sich blamieren könnte, wenn die Wahrheit ans Licht kam. Zu einer zweiten Nacht in diesen Gemächern würde es mit ein wenig Glück nicht kommen, wenn sie in der Waffenkammer fündig wurden...
Irgendwann schlief sie ein. Als sie wieder zu sich kam, fuhr sie hoch und schwang die Beine über die Bettkante. Wie viel Zeit verstrichen war, konnte sie nicht abschätzen – aber vermutlich mehr als nur eine halbe Stunde.
Xij bückte sich gerade nach ihren Stiefeln, als die Tür aufging und eine in Seide gekleidete Frau in den im Halbdunkel liegenden Raum wankte. Sie war ungefähr in Melchiors Alter und von zierlicher Gestalt, ihr Haar schwarz und lockig. Geistesgegenwärtig ließ Xij sich
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