32 - Der Blaurote Methusalem
die Revolver habe ich bei mir.“
„Bin ebenso damit versehen. Fühle mir überhaupt als Raubritter, der
im Begriff steht, mit verhängten Zügeln zum Burgtor hinauszusprengen.
Bin wirklich neubegierig, wie dat Abenteuer enden wird.“
„Hoffentlich gut. Komm!“
Draußen stand ihrer wartend der Diener. Er führte sie bis an die
Gartenpforte und zog sich dann zurück. Es war schnell dunkel geworden.
Man hätte einen Menschen auf acht Schritte nicht zu sehen vermocht, und
binnen zehn Minuten mußte es noch dunkler werden.
„Jetzt wird der Jott jestohlen“, flüsterte Gottfried.
„Ja, jetzt ist die Zeit. Hoffentlich gelingt der Diebstahl.“
„Schöner Wunsch!“
„Aber gerechtfertigt. Wenn der Raub nicht gelingt, sind wir morgen
wieder gezwungen, herauszuschleichen, was aber schwieriger sein dürfte,
da dann der Tong-tschi gewiß daheim sein wird. Komm zur Mauer!“
Sie huschten geräuschlos nach derselben hin und blieben zunächst lauschend stehen. Es war jenseits kein Geräusch zu hören.
„Jetzt hinüber, aber ja ganz leise!“ raunte Degenfeld dem Wichsier zu.
Sie schwangen sich hinauf und ließen sich drüben langsam wieder
hinab. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, so tauchte eine dunkle
Gestalt neben ihnen auf.
„Hu-tsin?“ fragte der Student flüsternd.
„Ich bin der ganz Armselige!“ antwortete der Gefragte ebenso leise.
„Wie lange sind Sie hier?“
„Seit kurzem erst.“
„Sind Sie einmal rundum gegangen?“
„Nein. Ich dachte, Wing-kan könne drüben hinter der Mauer stehen und lauschen. Er darf doch nicht wissen, daß ich da bin.“
„Recht so! Und die Werkzeuge?“
„Liegen hier neben mir. Was tun wir jetzt, hoher Gebieter?“
„Ihr beide steckt euch hinter diese Taxushecke. Es ist möglich, daß
Wing-kan herüberkommt und sich überzeugt, daß niemand hier im Garten
ist. Er wird das sogar sehr wahrscheinlich tun. Ich will einmal
rekognoszieren und kehre bald zurück.“
Er zog seine Stiefel aus und schlich sich fort. Schritt für Schritt
gehend, suchte er die Finsternis mit den Augen zu durchdringen. Zwei
Seiten des Gartens schritt er ab, ohne etwas Auffälliges zu bemerken.
Die dritte Seite bildete die Mauer, welche den Garten des einen
Juweliers von demjenigen des andern trennte. Indem er da langsam
vorwärtsging, stieß sein Fuß, glücklicherweise nur daran streichend, an
etwas Hartes, was da am Boden lag. Er bückte sich nieder, um den
Gegenstand zu befühlen. Es waren eine Hacke, ein Spaten und eine
Schaufel, die da auf- und nebeneinander lagen.
Diese Werkzeuge waren jedenfalls von Wing-kan herübergeschafft
worden; es war gar nicht anders möglich. Vielleicht war er noch in der
Nähe.
Degenfeld duckte sich nieder und lauschte. Er strengte seine Augen möglichst an, konnte aber weder etwas hören noch etwas sehen.
Er bewegte sich, zur Erde niedergebückt, noch einige Schritte
weiter, und da sah er eine Gestalt an einem Baum lehnen, kaum vier
Schritte von sich entfernt. Hätte er nicht diese gebückte Haltung
eingenommen gehabt, so wäre er von dem Mann unbedingt bemerkt worden.
Schnell bog er zur Seite und setzte sich da hinter einen
Buchsbaumrand nieder, um zu erwarten, was da kommen werde. Die
Hauptsache war jetzt, daß Gottfried und Hu-tsin an ihrem Platz blieben
und ja nicht auf den Gedanken kamen, ihr Versteck zu verlassen.
Glücklicherweise dauerte es nicht lange, so hörte man von draußen
Schritte. Es kamen mehrere Männer, schnell laufend. Sie hielten
jenseits der Mauer an. Man hörte an ihrem lauten Atem, daß sie ihre
Lungen sehr angestrengt hatten.
Die dunkle Gestalt verließ den Baum und huschte nach der Außenmauer
hin. Degenfeld folgte, aber selbstverständlich mit größter Vorsicht, um
ja kein Geräusch zu verursachen.
„Scht!“ ertönte es von draußen.
„Scht!“ antwortete es von innen.
„Ist der hohe Herr da?“
„Ja. Hast du ihn?“
„Sogar zwei!“
„Zwei? Einer war genug.“
„Es ging so leicht; da nahmen wir gleich zwei.“
„Die beiden Götter waren nicht zu schwer?“
„Nein. Sie sind von Holz.“
„Aus welchem Tempel?“
„Aus dem Pek-thian-tschu-fan, welches nicht so entfernt ist und auch weniger gut bewacht wird.“
„So ist's gelungen, ohne bemerkt zu werden?“
„Ja, aber beim nächsten Umgang, wenn der Hai-schi geschlagen wird,
muß man es unbedingt sehen. Bis dahin muß hier alles beendet sein.“
„Wie bringen wir die Götter herein?“
„Wir heben sie hinauf, und Sie nehmen sie
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