32 - Der Blaurote Methusalem
mußten hart an Degenfeld vorüber. Diesem kam
der Gedanke, sie festzuhalten. Ob ihm das gelingen werde? Pah! Er war
ein starker Mann, und der Schreck tat gewiß auch das seinige. Er ließ
sie an sich vorbei, schnellte dann empor – ein schneller Schritt
hinter ihnen her, ein Doppelgriff – er hatte sie beide bei den
Hälsen und krallte seine Finger mit aller Gewalt um dieselben.
Ein unterdrückter Schrei, ein vergebliches Sträuben und
Zappeln – sie brachen zusammen. Er hielt sie dennoch fest und
preßte sie auf das kräftigste nieder. Keiner gab nun einen Laut von
sich. Sie machten noch einige krampfhafte Bewegungen, dann lagen sie
mit ausgestreckten Gliedern still unter seinen Fäusten.
Jetzt ließ er los, um zu sehen, ob sie aufspringen würden. Sie taten
es nicht, denn sie waren entweder bewußtlos oder stellten sich so. Er
zog sein Messer und schnitt ihnen Streifen von den schon an und für
sich nicht reichlichen Gewändern. Dann band er sie Rücken an Rücken
aneinander, so daß sie sich nicht befreien konnten, und rollte sie eine
Strecke weit zur Seite.
Nun kehrte er zu den beiden, welche auf ihn warteten, zurück. Sie
hatten das Übersteigen und auch das Hacken und Schaufeln gehört und
waren um ihn besorgt gewesen. Er erzählte ihnen, was er ganz allein
fertiggebracht hatte. Hu-tsin eilte sogleich ins Haus, um feste Stricke
zu holen, mit denen die Kerls fester und sicherer gebunden werden
sollten. Dann suchten sie den Ort auf, an welchem die Figuren vergraben
lagen.
Degenfeld ging mit den Stricken allein zu den Gefangenen. Sie
durften gar nicht wissen, was mit ihnen vorging und wie viele Personen
sie gegen sich hatten. Er verband ihnen nun auch die Augen. Dann wurden
sie emporgehoben und über die Mauer in Wing-kans Garten geworfen.
Diesseits dieser Mauer begann nun das Ausgraben. Als man damit
fertig war, wurde das Loch wieder zugemacht. Dann stieg Degenfeld
hinüber und erhielt das Handwerkszeug und die Götter zugelangt; nachher
folgten die beiden andern ihm nach.
Nun war da drüben eine Viertelstunde lang ein leises, kaum
vernehmbares Geräusch zu hören, dann ein mehrmaliges kräftiges Klopfen,
wie wenn Pfähle in die Erde geschlagen würden. Hierauf kamen die drei
wieder über die Mauer zurück.
„So, das ist herrlich gelungen“, sagte der Methusalem. „Nun mag dieser Wing-kan Anzeige machen. Er fällt in seine eigene Grube.“
„In welcher ich umkommen sollte“, ergänzte der Chinese. „Herr, Sie sind mein Retter. Wie soll ich Ihnen danken!“
„Dadurch, daß Sie sich ganz genauso benehmen, wie ich es Ihnen jetzt da drüben gesagt habe.“
„Wollen Sie nicht mit mir hereinkommen in das Haus? Nun die Gefahr
vorüber und mir das Herz wieder leicht ist, möchte ich Sie bewirten.“
„Dazu haben wir keine Zeit. Wir müssen zurück. Der Mandarin darf ja nicht erfahren, daß wir hier gewesen sind.“
„So erweisen Sie Ihrem armseligsten Diener wenigstens die Gnade, daß er morgen Ihr Angesicht schauen kann!“
„Das können wir tun. Morgen werden wir kommen, um uns alles erzählen
zu lassen. Jetzt aber möchten wir uns reinigen. Gibt es bei Ihnen einen
Ort, wo das geschehen kann, ohne daß man uns sieht?“
„Ja, kommen Sie, kommen Sie!“
„Nehmen Sie die Werkzeuge mit; sie dürfen nicht im Garten bleiben.“
Er führte sie in einen Verschlag und holte Laterne und Bürste, wo
sie den Schmutz entfernten, welcher leicht zum Verräter werden konnte.
Dann verabschiedeten sie sich von ihm und stiegen in den Garten des
Mandarinen zurück.
Dort stellte sich Gottfried wie ein Diener an die Pforte, und
Degenfeld spazierte auf und ab. Aber das brauchte er nicht allzulange
zu tun, denn er wurde bald geholt und zwar von dem Tong-tschi selbst,
welcher nach Hause gekommen war und, als er erfahren hatte, daß die
erwarteten Gäste angekommen seien, nun in den Garten geeilt kam, um
Degenfeld zu begrüßen.
„Und nun“, sagte er, als die ersten Komplimente gewechselt waren, „muß ich Sie bitten, mir einen Wunsch zu erfüllen.“
„Welchen?“
„Niemand darf wissen, in welcher Lage ich mich befunden habe, und
daß Sie meine Retter gewesen sind. Meinem Weib allein habe ich es
erzählt. Sie wünscht, Sie zu sehen, um Ihnen danken zu können. Darf ich
Sie zu ihr führen?“
Degenfeld wußte, was das für eine Auszeichnung für ihn war. Darum
antwortete er in höflichstem Ton: „Ich betrachte diesen Wunsch als
einen Befehl der Herrin und werde demselben Gehorsam
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