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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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leisten.“
    „So kommen Sie! Sie wartet schon längst auf Sie.“

ZWÖLFTES KAPITEL
    Der Götterraub
    Der Chinese führte die beiden Deutschen in das Haus zurück und in eine Art Vorzimmer, in welchem der Mijnheer, Turnerstick, Richard und Liang-ssi schon harrten, und verschwanden in der nächsten Tür.
    Nach einigen Minuten holte er sie ab, um sie eintreten zu lassen. Sie kamen in einen wirklich glänzend ausgestatteten Salon, der nicht groß war. Hier empfing die Frau des Mandarinen wohl ihre Freundinnen, da alles darauf hindeutete, daß Damen hier oft verkehren. Stickereien und andere weibliche Luxusarbeiten lagen auf den Tischen; kostbares Porzellan blickte von den künstlichen Simsen, und musikalische Instrumente hingen an den Wänden.
    Die Gäste hatten sich kaum gesetzt, so erschien die Dame am Arm einer Dienerin. Sie bedurfte einer solchen Stütze, da sie allein nur schwer zu gehen vermochte, eine Folge der größten chinesischen Schönheit, welche sie besaß, nämlich ihrer Klumpfüßchen.
    Den Töchtern vornehmer Eltern werden gleich nach der Geburt die acht kleinen Zehen der Füße nach der Sohle zu umgebogen und mittels Bandagen da festgebunden. Nur die große Zehe darf ihre Lage behalten, entwickelt sich aber auch nicht naturgemäß, da der ganze Fuß und also auch sie unter der grausamen Behandlung sehr zu leiden hat. Die Zehen, und vor allen Dingen die Nägel derselben, wachsen in das Fleisch der Sohle hinein, was langwierige Schwärungen und natürlich große Schmerzen bereitet.
    So ein armes Kind lernt niemals gehen, sondern nur humpeln, nimmt aber das alles gern in Kauf, um so glücklich sein zu können, einen schönen Fuß zu haben. Dieser Fuß besteht nur aus der unter den Mittelfuß gewaltsam vorgedrückten Ferse und der großen Zehe. Das Pantöffelchen, mit welchem diese letztere bekleidet ist, hat allerdings die Kleinheit eines Puppenpantoffels; desto unförmiger aber ist der Teil des Fußes, den man nicht zu sehen bekommt, da das lange Gewand ihn bedeckt.
    Das beschwerliche, schmerzhafte Gehen ist nicht ohne Einfluß auf Körper und Geist. Es hängt beiden etwas Krüppelhaftes an. Ein Mensch, der nicht gehen, der sich nicht anmutig, frisch, gewandt und kräftig bewegen kann, wird gewiß gedrückten Gemüts oder Geistes sein.
    Als eine weitere große Schönheit gilt bei den Chinesen die Wohlbeleibtheit. Wer nicht fett ist, kann ganz unmöglich schön sein. Eine hagere Person ist stets häßlich.
    Auch in dieser Bezeichnung war diese Dame sehr schön. Sie war von kleiner Gestalt, hatte aber eine so immense Taille, daß es dem Mijnheer, als sie eintrat, unbewacht entfuhr: „Rechtvaardige hemel, is deze vrouw dick, zeer onfeilbaar dick – Gerechter Himmel, ist diese Frau dick, ganz unfehlbar dick!“ Wenn Mijnheer van Aardappelenbosch so in Ekstase geriet, so kann man sich wohl denken, daß der Durchmesser dieser Dame so ziemlich gleich ihrer Höhe war. Sie näherte sich mit großem Erfolg der Kugelform.
    Ihr Haar war mit Hilfe vieler Nadeln, in denen Diamanten glänzten, in eine schmetterlingsähnliche Form gesteckt. Ihr Körper wurde bis zum Boden herab von kostbarer Seide umwallt. Ihre Hände waren tief in den weiten, bis über die Knie reichenden Ärmeln verborgen, und um ihren Hals hing eine schwere, goldene Kette, an welcher mehrere Amulette befestigt waren.
    Das kleine Gesichtchen war nach der Sitte vornehmer Chinesinnen dick mit Bleiweiß und Zinnober bestrichen, was den Zügen eine maskenartige Unbeweglichkeit und Starrheit erteilte, von welcher die kleinen, schief geschlitzten Äuglein eine sehr bewegliche Ausnahme machten.
    „Tsching, tsching, tsching, tsching, kia tschu!“ grüßte sie mit ihrem dünnen, durchdringenden, aber sehr freundlich klingenden Kinderstimmchen.
    Kia tschu heißt ‚meine Herren‘.
    Den Kapitän überkam eine außerordentlich galante Regung. Er als derjenige, welcher von allen das feinste Chinesisch sprach, mußte auf jeden Fall jetzt das Wort ergreifen und dem lieben Wesen etwas Zartes sagen. Darum trat er zwei Schritte vor, verbeugte sich außerordentlich tief, hustete einmal, zweimal und begann: „Gnädige Frau Chinesing! Mein Herz ist wonnangvoll berührt von Ihrer holdong Liebangswürdigkeit. Zwar bing ich unverheiratingi, aber ich weiß das Glück zu schätzen, eine Gatting dieses Mandarengs so liebreich vor Augang zu habung. Ich muß Ihnen mein Komplimangt machong und empfehle uns alle Ihreng Wohlwollung! Tsching, tsching und abermals

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