32 - Der Blaurote Methusalem
sich Gnade zu erbitten, die ihm nach einer strengen Mahnung auch zugesagt wurde.
Nun sagte Degenfeld, daß er für kurze Zeit in den Wald gehen wolle, um zu sehen, ob ein botanischer Fund zu machen sei; die Gefährten sollten dafür sorgen, daß das Mahl zubereitet werde, und mit demselben bis zu seiner Rückkehr warten. Kurze Zeit, nachdem er sich entfernt hatte, ging der Gottfried ihm nach, welchem dann Richard folgte. Sie fanden ihn unter dem bezeichneten Baum. Er hielt ein Papier in den Händen, den Plan des Händlers Ye-kin-li, und schien mit demselben die Gegend aufmerksam zu vergleichen.
SECHZEHNTES KAPITEL
Hao-keu und ihre Töchter
„Gut, daß ihr kommt, und ich also keine Zeit zu verlieren brauche“, sagte er. „Hier habe ich die Zeichnung unsres chinesischen Freundes, welche, wie ich sehe, sehr genau angefertigt worden ist. Sie ist freilich schon acht volle Jahre alt, stimmt aber ganz gut auf diesen Ort. Die kleine Veränderung, welche die Situation erlitten hat, ist auf den Einfluß dieser Zeit zurückzuführen und bezieht sich nur auf das Wachstum der Pflanzen. Als Hauptmarke ist ein großer, über tausend Jahre alter Ging-ko-Baum angegeben, bei dem fünf Keime zu einem einzigen Stamm verwachsen sind. Das ist der riesige Nadelbaum, unter welchem wir hier stehen und dessen Stamm einen Umfang von über neun Meter hat und sichtlich aus fünf einzelnen Stämmen zusammengesetzt ist. Daneben sind, genau im Westen von ihm stehend, zwei andre Bäume verzeichnet, nämlich ein Ti-mu, um welchen sich die Pflanze Lo windet, und ein wilder Sang; das alles ist, wie ihr sehen könnt, vorhanden, der Eisenbaum mit dem Efeu und auch der Maulbeerbaum. In der Richtung, in welcher diese Bäume stehen, also nach Westen, hat man vierzig Schritte zu gehen, um an die sogenannte Hoei-hoei-keu (Mohammedanerschlucht) zu kommen, wo eine Ku-tsiang (Mauerrest) stehen soll, welche wir jetzt zu suchen haben, denn genau von ihr aus müssen wir gerade abwärts in das Tal steigen, um den Lao-hoei-hoei-miao (mohammedanischer Tempel) zu finden, um welchen es sich handelt.“
Sie schritten die angegebene Entfernung in der betreffenden Richtung ab und gelangten an den Rand des Tals, über welchem in der Entfernung von vierhundert Schritten rechter Hand von ihnen die bereits erwähnte steinerne Bogenbrücke führte. Da, wo sie die Kante desselben erreichten, sahen sie mehrere halbverwitterte Mauersteine aus dem weichen Humusboden blicken. Das war der Mauerrest, von welchem aus sie abwärts stiegen.
Noch hatten sie die Sohle der Schlucht und den dort fließenden Bach nicht erreicht, so trafen sie auf ein altes, eigentümliches Gemäuer, welches so von Büschen und hohen Farnen umgeben war, daß man es von weitem gar nicht bemerken konnte. Die Mauer bildete einen Kreis, dessen Durchmesser nicht mehr als zehn Fuß betrug. Das Dach, welches man mit der Hand erreichen konnte, war, entgegen dem chinesischen Stil, von Steinen rund gewölbt, und der Eingang war so niedrig, daß man ihn nur in sehr gebückter Haltung passieren konnte. Das Gebäude hatte die halbkugelige Form einer Kaffern- oder Hottentottenhütte und konnte unmöglich ein mohammedanischer Tempel, d.h. eine Li-pai-sse, wie die Moscheen in China genannt werden, gewesen sein.
„Wir sind an Ort und Stelle“, sagte der Methusalem, „und wollen zunächst nach dem Tscha-dse suchen, welches Ye-kin-li hier vergraben hat. Ein Tscha-dse ist ein langes, starkes Messer, mit welchem man Häcksel schneidet. Aus einem solchen bestand die einzige Waffe, welche der Händler bei sich trug. Mit ihrer Hilfe konnte er die Grube machen, in welche er seine Barren versteckte, und um dieses Werkzeug später gleich an Ort und Stelle zu haben, verscharrte er es an einer Stelle, welche genau zehn Schritte von dieser Tür aus abwärts liegt, und wo die Wurzel einer Weide zutage tritt.“ Er schritt die Strecke ab und traf auf den Baum und die Wurzel, unter welcher er mit seinem Messer grub. Schon nach kurzer Zeit brachte er das Tscha-dse hervor, welches zwar stark angerostet, aber noch fest war.
Die beiden andern hatten ihn bisher still, aber erwartungsvoll angehört und ihm zugesehen. Jetzt fragte Richard: „Und wo soll denn der Schatz vergraben sein?“
„Dort im Gebäude. Ich vermute, daß dasselbe die Begräbnisstelle eines frommen Mohammedaners gewesen ist, also ein sogenannter Marabu, denn Ye-kin-li hat, um Platz für seine Barren zu finden, menschliche Gebeine, welche fast ganz verwest waren,
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