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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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man den Grund derselben nicht zu erblicken vermochte.
    Die Wände fielen fast senkrecht in den dunklen Schlund. Es gab weder rechts noch links einen Ausweg. Nur geradeaus führte die Straße, quer über den riesigen Spalt hinüber, und zwar auf der Brücke, von welcher der Wirt des Sië-kia gesprochen hatte.
    Es war wirklich eine Kettenbrücke im eigentlichsten Sinn des Wortes. Sechs starke, parallel laufende Eisenketten waren hüben und drüben fest in dem Gestein verankert. Sie trugen querliegende, hölzerne Bohlen, welche die gefährliche Bahn bildeten.
    Die Ketten hatten ihrer Schwere wegen nicht straff angezogen werden können. Sie hingen über der Mitte der Schlucht tief hernieder. Die Bohlen waren alt und ausgetreten. Infolge der Fäulnis waren Löcher und sonstige Zwischenräume entstanden, durch welche derjenige, der sich auf diese Brücke wagte, unter Grauen zu seinen Füßen in die Schwindel erregende Tiefe blicken konnte. Und das die Gefahr verdoppelte, das war der Umstand, daß die kühnen Erbauer dieser Brücke es nicht für nötig gehalten hatten, ein Geländer anzubringen.
    Als der Methusalem sein Pferd anhielt und sich diese Passage mit besorgtem Blick betrachtete, sagte Gottfried, indem er die Mütze auf dem Kopf hin und her schob: „Sollen wir etwa da hinüber?“
    „Natürlich! Wie denn sonst, da ich noch nicht bemerkt habe, daß wir fliegen können!“
    „So wollte ich, der Kerl stände da, der diese famose Jasse erfunden hat!“
    „Warum?“
    „Ich würde ihn auf saure Sahne mit Jurkensalat fordern. Da dies aberst leider nicht stattfinden kann, so will ich ihm nur jerne wünschen, dat seine ruchlose Seele hier mitternächtig spuken und von zwölf bis eins in die Jeisterstunde immer über die Brücke hinüber- und herüberlaufen muß. Hat dieser Kerl etwa jedacht, dat wir Seiltänzer oder sonstige Jongleurs und Possenreißer sind!“
    „Um Possen zu reißen, ist die Brücke wohl nicht da. Haben Sie Mut, lieber Turnerstick?“
    Der Kapitän schob seinen Klemmer auf der Nase hin und her und antwortete: „Ich bin auf manchen Mast geklettert, aber über eine solche Brücke noch nicht. Kommt ein halber Wind, so kentert man unbedingt zur Tiefe nieder. Was sagen Sie, Mijnheer?“
    Anstatt, wie vermutet war, mit in die Klage einzustimmen, meinte der Gefragte: „Ik bid, mij aftebinden – Ich bitte, mich abzubinden.“
    „Weshalb?“ fragte Turnerstick, indem er ihm die Leine von den Füßen löste.
    „Ik bin Mijnheer von Aardappelenbosch, een dapper Nederlander. Ik kan niet goed rijden, maar ik kan goed lopen. Ik word vooraan gaan – Ich bin Mijnheer von Aardappelenbosch, ein tapferer Niederländer. Ich kann nicht gut reiten, aber ich kann gut laufen. Ich werde vorangehen.“
    Er nahm, was keiner ihm zugetraut hätte, sein Pferd beim Zügel und führte es auf die Brücke. Die andern wollten folgen, aber der Methusalem verwehrte es ihnen: „Halt, nicht zu viele! Es steht zu vermuten, daß sich die Brücke wie eine Schaukel bewegen wird. Ich gehe mit dem wackeren Mijnheer. Zwei andre mögen uns erst dann folgen, wenn wir uns auf der Mitte befinden.“
    Er nahm nicht nur sein Pferd, sondern auch dasjenige Richards mit, um dem ihm anvertrauten Jüngling den schweren Übergang möglichst zu erleichtern.
    Die Brücke war ungefähr fünfzehn Fuß breit, was bei gewöhnlichen Verhältnissen gewiß genügt hätte. Aber bei einer Höhe, aus welcher das Auge nicht den Grund der Schlucht zu erreichen vermochte, bei einer Länge von vielleicht über hundertfünfzig Fuß und bei dem schlechten Zustand der Bohlen war diese Breite unbedeutend, zumal die Geländer fehlten.
    Dennoch schritt der Mijnheer wacker voran. Sein Pferd folgte mit langsamen, vorsichtigen Schritten. Es schien diese Art der Passage gewohnt zu sein, denn es trat äußerst vorsichtig und – so zu sagen – probierend auf, um ja nicht mit einem Huf durchzubrechen. Degenfeld ging mit seinen beiden Pferden eng hintendrein.
    So ruhig die Schritte der beiden Männer und der drei Tiere waren, die Brücke geriet doch in eine schaukelnde Bewegung, welche am stärksten wurde, als die Genannten sich gerade auf der Mitte befanden.
    „Werden Sie nicht schwindlig, Mijnheer?“ fragte der Methusalem, um den Dicken besorgt.
    „Neen“, antwortete dieser. „Ik weet, hoe men het maken moet – Nein. Ich weiß, wie man es machen muß.“
    „Nun, wie denn?“
    „Ik fluit het ene oog en werp het tweede recht toe voor mij neder. Makt gij het ook

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