32 - Der Blaurote Methusalem
zoo – Ich mache das eine Auge zu und werfe das zweite gerade vor mich nieder. Machen Sie es auch so!“
Auf diese Weise konnte sein Blick nicht von der Brücke in die Tiefe fallen. Er hatte recht, und der Methusalem folgte seinem Beispiel. Sie kamen trotz des Wankens des schwindelnden Stegs glücklich drüben an.
Als sie sich da umdrehten, sahen sie den Gottfried mit Richard in der Mitte. Turnerstick schickte sich soeben mit Jin-tsian an, die Brücke zu betreten. Liang-ssi schien sich mit dem Offizier im Streit zu befinden. Er berichtete dann, als er jenseits anlangte, daß die Reiter eine ziemlich hohe Summe verlangt hätten, bei deren Verweigerung sie sich nicht auf die Brücke hatten wagen wollen. Er war der sehr begründeten Ansicht gewesen, daß diese für Fremde heikle Passage ihnen gar nichts Ungewöhnliches sei; darum hatte er ihnen ihr Verlangen abgeschlagen und sie auf die Folgen hingewiesen, welche das angedrohte treulose Verhalten für sie haben müsse.
Sie hielten eine ziemlich lange Beratung und kamen dann mit den Packtieren, welche frei folgten, im scharfen Trab über die Brücke geritten, so daß diese in einer Weise schaukelte, daß man meinen mußte, die Reiter würden in die Tiefe geschleudert werden. Sie hatten diesen Weg gewiß schon viele Male gemacht.
Bei den Reisenden angekommen, machte der Offizier sein Verlangen abermals geltend, wurde aber von Methusalem abgewiesen, welcher ihm antwortete: „Sobald wir am Ziel angelangt sind, werden Sie ein Kom-tscha erhalten, eher nicht, und auch dann nur in dem Fall, daß wir mit Ihnen zufrieden sind. Vergeßt ja nicht, in welchem Rang wir stehen, und daß ihr gegen uns nur wie Mücken seid, welche ich mit einem einzigen Wort vernichten kann!“
Am Ende der Brücke öffnete sich abermals eine Schlucht, welche aber nur sehr kurz war; dann führte die Straße abwärts nach dem Wald, an dessen Eingang ein Ruhehaus stand, welches größer und freundlicher zu sein schien als die bisher gesehenen Einkehrstätten. Dort hielt Degenfeld an.
„Unser Tagemarsch ist beendet“, sagte er. „Wir werden hier übernachten.“
Sofort sprangen die Chinesen ab, griffen zu den mitgebrachten Effekten und Vorräten, trieben die Pferde nach dem hinter dem Haus liegenden Grasplatz und eilten in das Innere des Gebäudes.
Eine kurze Strecke jenseits des letzteren führte die Straße über eine kurze Steinbrücke, welche nur einen Bogen hatte, und ein schmales, aber tiefes Tälchen überspannte. Dorthin deutend, sagte Degenfeld leise zu Gottfried: „Nicht weit von jener Brücke, an der Seite der Bodensenkung und nicht ganz auf der Sohle derselben, wo ein kleines Wasser fließt, muß sich die Stelle befinden, an welcher wir zu suchen haben. Es ist jetzt wenig über vier Uhr, und erst nach acht Uhr wird es dunkel. Wir haben also noch vor Abend Zeit, nachzuforschen. Sobald ich mich entferne, kommt ihr einzeln nach; du kannst das Richard sagen. Ihr werdet mich unter dem großen Nadelbaum treffen, dessen Spitze du dort über die andern Wipfel emporragen siehst. Den andern sage ich, daß ich nach Pflanzen suchen will.“
Laute, zornige Rufe der Soldaten und der Klang einer bittenden Stimme veranlaßten ihn, sich in die Stube zu begeben. Dort bildeten die Kavalleristen einen Kreis, in welchem drei von ihnen einen Mann, den sie niedergerissen hatten, am Boden festhielten. Der Offizier hatte seinen Sarras gezogen und schlug mit der flachen Klinge auf den um Gnade Bittenden ein.
„Was geht hier vor?“ fragte Degenfeld, indem er sich in den Kreis drängte. „Was hat euch dieser Mann getan?“
„Sehen Sie nicht, hoher Herr, wer und was er ist?“ antwortete der Lieutenant. „Hat er nicht einen halben Mond auf seiner Jacke?“
Der Mißhandelte war nicht mehr jung, fast ein Greis. Seine Züge hatten das chinesische Gepräge, und sein Anzug war der gewöhnliche des Landes. Auf dem jackenähnlichen Stück, welches er über dem langen, einer Toga gleichenden Unterkleid trug, war ein gelbes Stück Tuch, welches die Gestalt eines Halbmondes hatte, aufgenäht. Von Waffen sah man nichts an ihm. Zwei der Soldaten knieten noch immer auf seinen Armen und Beinen, während der Dritte ihn am Zopf niederhielt.
„Ich sehe dieses Zeichen“, antwortete der Methusalem. „Was hat es zu bedeuten?“
„Daß er ein Kuei-tse ist, den wir totschlagen müssen.“
„Was hat er euch getan?“
„Uns? Nichts. Aber alle Kuei-tse müssen erschlagen werden.“
„Wer hat das
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