32 - Der Blaurote Methusalem
schenken; er senkte den Lauf und antwortete mit finsterer Miene: „Ihr entheiligt unser Ma-la-bu! Was habt ihr hier zu graben?“
Also war, wie Degenfeld vermutet hatte, das Gebäude wirklich ein Marabu, das Grab eines durch seine Frömmigkeit ausgezeichneten Mohammedaners. Da dem Chinesen das ‚r‘ nicht geläufig war, verwandelte er es in das leichtere ‚l‘, also Ma-la-bu.
„Seid ihr Hoei-hoei?“ erkundigte sich der Student.
„Ja.“
„So habt ihr keine Veranlassung, uns feindselig zu behandeln. Wir achten euren Glauben und ehren Mohammed als euren Propheten.“
„Und doch grabt ihr diese heilige Erde auf!“
„Nicht um sie zu entweihen. Wir gingen in den Wald, um nach den Vorschriften der Heilkunde Pflanzen zu suchen. Da sahen wir hier den Griff dieses Messers aus dem Boden ragen. Wir zogen es heraus, um es zu betrachten, und eben stand ich im Begriff, es wieder an seine Stelle zu legen, als ihr erschient. Nun sagt, ob wir eine Sünde begangen haben!“
„Zeige das Messer!“ Er nahm es in Empfang, betrachtete es prüfend, untersuchte dann die aufgegrabene Stelle und sagte, als er nichts fand: „Das ist ein ganz gewöhnliches Tscha-dse, welches jedenfalls ein Arbeiter hier versteckt hat, um es später, wenn er es braucht, zu finden. Ich dachte, ihr wolltet nach einem Pao-ngan (verborgener Schatz) suchen, welcher bei einem armen Ma-la-bu unmöglich vorhanden sein kann. Die Buddha-min sind alberne Menschen, welche unsre Gebräuche und heiligen Orte nicht achten.“
„Wir gehören nicht zu ihnen.“
„Nicht? Was seid ihr denn?“
„Wir sind Tien-schu-kiao-min (Christen).“
„Wenn das wahr ist, so sind wir Freunde, denn wir und die Christen verehren einen wirklichen Gott, dessen Propheten Mohammed und J-sus (Jesus) waren. Aus eurem Glauben schließe ich, und an eurer Kleidung erkenne ich, daß ihr aus einem fernen Land kommt. Habt ihr denn einen Paß bei euch?“
„Ja, ich habe einen großen, besondern Kuan des erhabenen Herrschers.“
Wie unvorsichtig diese Mitteilung war, sollte Degenfeld sofort erkennen, denn der Chinese sagte: „So hast du mich betrogen, denn einen solchen Kuan bekommt nur ein Chinese. Ich werde das streng untersuchen, und ihr habt uns jetzt zu folgen.“
„Als Gefangene etwa?“
„Ja. Eine Gegenwehr würde nur zu eurem Schaden sein, denn blickt einmal hinauf nach der Brücke!“
Erst jetzt bemerkten die drei Gefährten, daß oben eine Schar von wohl fünfzig Reitern hielt. Diese konnten von ihrem hohen Standpunkt aus die Szene überblicken. Dennoch antwortete der Student: „Wir fürchten uns gar nicht vor euch, denn wir haben in diesen kleinen Waffen so viele Kugeln, daß wir euch alle töten können. Aber da wir euch die Wahrheit gesagt haben, so ist für uns nichts zu besorgen. Wir gehen also mit.“
„So kommt zum Einkehrhaus! Aber versucht ja nicht, uns zu entfliehen; es würde euch nicht gelingen.“
Er wandte sich nach der Brücke und gab mit dem erhobenen Arm ein Zeichen, auf welches seine Reiter sich nach dem Haus hin in Bewegung setzten. Die drei wurden in die Mitte genommen. Während man an der Seite des Tales emporstieg, sagte der Anführer: „Es sind Soldaten in dem Haus, welche einen meiner Leute töten wollten. Er ist ihnen entkommen und hat uns, die wir in der Nähe lagen, herbeigeholt, damit sie bestraft werden.“
„Hat er erzählt, auf welche Weise er der Gefahr entrann?“ fragte der Methusalem.
„Ja. Ein seltsam gekleideter Mandarin hat ihn in Schutz genommen.“
„Kein Mandarin, ich selbst war es.“
„Du? Wenn es sich zeigt, daß dies wahr ist, so ist es gut für dich.“
Man hatte die Höhe erreicht und konnte nun zwischen den Bäumen hindurch das Einkehrhaus an der Straße liegen sehen. Vor demselben standen einige Soldaten. Sie sahen die Reiter kommen und eilten augenblicklich hinter das Haus, indem sie riefen: „Kuei-tse-lai, kuei-tse-lai. Suk tschu-kiü ni-men – Kuei-tse kommen, kuei-tse kommen. Reißt schnell aus!“
Die andern kamen aus dem Haus gerannt und liefen auch in höchster Eile hinter das Haus nach ihren Pferden. Im nächsten Augenblick sah man sie im Galopp fliehen, und zwar nach der Richtung, aus welcher sie, die tapferen Beschützer, mit ihren Schützlingen vorher gekommen waren.
„Da jeben unsre Helden Fersenjeld“, sagte der Gottfried. „Wer weiß, ob wir ihnen jemals wiedersehen!“
„Wohl schwerlich“, meinte Degenfeld. „Ein Glück, daß sie unsre Pferde und die Packtiere nicht
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