32 - Der Blaurote Methusalem
fragte: „Sie warten auf uns? Dürfen wir eintreten, jeehrter Freund und Ständchenjenosse?“
„Ja, komm herein! Wo sind die andern?“
„Sie folgen mich hinterdrein. Da sehen Sie dat janze Corps der Rache.“
Er schob Richard, Turnerstick und den Dicken herein. Draußen aber stand noch Liang-ssi, dessen Bruder, van Berken und auch der Bettlerkönig.
„Gut!“ meinte Degenfeld. „So sind wir nun alle beisammen. Ist der Herr in seiner Schlafstube?“
„Ja. Liang-ssi hat eine Leiter an dat Fenster jelegt und den Spion jemacht. Soeben hat sich der Onkel zur Ruhe jelegt, die wir ihm aber nicht lassen werden.“
„So kommt! Aber leise!“
„Ik ook?“ fragte der Mijnheer.
„Ja. Wir müssen alle beisammen sein.“
„Und ik zal ook met zingen?“
„Nein. Sie schweigen!“
„Waarom?“
„Weil Sie nicht singen können.“
„Oh, ik kan zingen, ik kan zeer goed zingen!“
„Das ist möglich. Da wir aber noch keinen Beweis davon haben und es uns auch an der Zeit fehlt, uns diesen Beweis geben zu lassen, so ersuche ich Sie, nicht mitzusingen. Bitte, kommen Sie jetzt!“
Die vorne auf dem Korridor brennende Lampe war ausgelöscht worden. Die Herren hatten aber ihre Lichter mitgebracht; also gab es Beleuchtung genug. Sie schlichen sich bis zur Tür, hinter welcher das Wohnzimmer des Onkels lag. Degenfeld klinkte leise; sie ging auf. Die drei, der Methusalem, Gottfried und Richard, traten ein. Links von ihnen führte die Tür in das Schlafkabinett des Onkels. Sie war nur angelehnt; der Schein der Lichter fiel durch die Spalte hinaus. Er sah es und fragte auf chinesisch: „Wer ist da draußen?“
Anstatt der Antwort erklang der Bierbaß des Methusalem: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Gottfried und Richard fielen kräftig ein. Aber schon nach den ersten zehn oder zwölf Takten lauschten sie selbst erstaunt auf. Sie sangen nicht allein. Zu ihren drei Stimmen hatte sich ein wundervoller Tenor gesellt, ein Tenor, so glockenhell, so rund und trotz aller Zartheit so mächtig, daß sie sich umdrehten. Da stand hinter ihnen der Dicke und sang mit ihnen:
„Ist's wo am Rhein die Rebe blüht?
Ist's wo am Belt die Möwe zieht?“
Ja, er konnte singen, der Mijnheer, und wie! Er hatte eine Stimme, und was für eine! Der Methusalem nickte ihm aufmunternd zu, und so ließ er diese Stimme nun nicht mehr schüchtern, sondern in ihrer vollen Stärke erschallen. Das gab einen prachtvollen Zusammenklang.
Als das Lied zu Ende war, stand der Onkel unter der Tür. Sein Gesicht war ein einziges großes Fragezeichen. Seine faltigen Wangen hatten sich gerötet, und seine Augen leuchteten vor Erregung. Mit fast zitternder Stimme rief er: „Sie singen dieses prächtige Lied! Sie singen deutsch! Sie verstehen also auch deutsch! Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?“
„Um Ihnen zu überraschen“, antwortete Gottfried voreilig. „Wir bringen Ihnen dieses Ständchen zum Jeburtstage und dazu die Erfüllung Ihres Lieblingswunsches. Sehen Sie sich diesen wohljeratenen Jüngling an, diesen – – – o weh! Hat ihm schon! Da ist es mit meine schöne Rede aus!“
Richard hatte sich nicht länger halten können. Noch während der Gottfried sprach, war er mit den Worten: „Onkel, lieber Onkel, ich bin dein Neffe!“ auf Stein zugeeilt und hatte seine Arme um ihn geschlungen. Der Onkel stand starr vor freudigem Schreck. Die Arme hingen ihm schlaff herab.
„Mein Neffe – du – bist mein Neffe?“ stammelt er.
„Hinaus!“ flüsterte Degenfeld den andern zu, indem er sie zurückdrängte. „Hier sind wir von jetzt an überflüssig.“
Er schob die Tür hinter sich zu. Drin erklangen die Stimmen des Oheims und des Neffen, schluchzend und jubelnd zugleich. Auf dem Korridor sagte der Gottfried: „Wohin jehen wir einstweilen?“
„Einstweilen?“ antwortete der Blaurote. „Von einem Einstweilen ist natürlich keine Rede. Wir gehen schlafen.“
„Dat wäre höchst inkulant!“
„Warum?“
„Weil der Onkel uns bald suchen wird, um uns zu danken.“
„Du willst einen Dank haben für deinen zweiten Bänkelsängertenor? Schäme dich!“
„Na, so war's nicht jemeint. Aberst er wird noch mit uns reden wollen. Wir werden ihm erzählen sollen!“
„Dazu ist morgen besser Zeit als jetzt. Übrigens kann und wird Richard ihm alles erzählen. Lassen wir die beiden allein!“
Er ging nach seiner Schlafstube und legte sich nieder. Die andern mußten wohl oder übel seinem Beispiel folgen. Noch war er
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