32 - Der Blaurote Methusalem
sagte: „Een haan! Ik zie hem niet – Ein Hahn! Ich sehe ihn nicht!“
Gottfried hatte das Mundstück wieder zwischen den Lippen – eine ganze Schar von Gänsen schnatterte; Enten quakten und Tauben girrten. Nun erst sahen und hörten die mit der Kunst des Wichsiers Unbekannten, daß diese Stimmen aus seinem Instrument kamen. Ein Ochse brummte, ein Pferd wieherte; dann meckerten einige Ziegen. Das war so vortrefflich nachgeahmt, daß die Hörer meinten, die Tiere vor sich zu sehen. Eine Katze fauchte, und ein Hund knurrte darauf. Die Katze miaute laut, und der Hund kläffte hinterdrein. Die Katze schrie förmlich auf, und der Hund bellte und heulte aus Leibeskräften. Das gab einen ganz entsetzlichen Lärm, welcher aber so genau nach dem Takte ging, daß jeder Ton mit der Begleitung harmonierte. Diese Stimmen und andre wiederholten sich in der verschiedensten Weise und Reihenfolge, bis sie endlich so rasch hintereinander und scheinbar durcheinander erschallten, daß die Zuhörer sich wirklich die Ohren zuhielten und aus Leibeskräften lachten.
„So“, sagte Gottfried, indem er sein Instrument hinlehnte, „dat hast du jut jemacht, Richard. Du bist nicht ein einziges Mal aus dem Konzept gekommen, und ich denke, dat wir Ehre einjelegt haben. Nun komm! Wir sind keine Freunde von diejenige Arbeitsteilung, dat wir nur blasen, wenn die übrigen trinken.“
Durch dieses letzte Musikstück war die muntere Laune neu angeregt worden und sie hielt vor, bis niemand, selbst der Dicke nicht, mehr trinken wollte. Der T'eu wünschte, schlafen zu gehen, und so wurde die Tafel aufgehoben.
„Ik eet und drink ook niets meer“, sagte der Dicke; „maar slapen kan ik ook niet. Ik moet met gij spreken, Mijnheer Stein – Ich esse und trinke auch nichts mehr; aber schlafen kann ich auch noch nicht. Ich muß mit Ihnen sprechen, Herr Stein.“
„Worüber?“ fragte der Onkel.
„Dat word ik gij zeggen. Gaan wij in uw vertrek – Das werde ich Ihnen sagen. Gehen wir in Ihr Zimmer!“
„Gern, wenn Sie es wünschen. Doch bitte, hier zu warten, bis ich die andern Herren begleitet habe!“
Da fiel dem Dicken ein, daß ja gesungen werden solle. Er hatte versprochen, mitzusingen. Darum meinte er jetzt: „Ik kan het ook morgen zeggen. Ik wil met slapen gaan – Ich kann es auch morgen sagen. Ich will mit schlafen gehen.“
So schloß er sich also den andern an, welche der Onkel in ihre Zimmer brachte. Mit dem Methusalem in der Stube desselben angekommen, bemerkte der Wirt: „Das war ein höchst genußreicher Abend, für welchen ich Ihnen nicht genug Dank sagen kann. Solche Stunden habe ich hier noch nicht erlebt.“
„Haben Sie wirklich ganz darauf verzichtet, die Heimat wiederzusehen?“
„Ja. Einen Käufer finde ich nicht. Und soll ich meine Schöpfung und meine Arbeiter verlassen?“
„Besitzen Sie nicht Verwandte, welche Sie zu sich rufen können? Die Anwesenheit derselben würde Ihnen doch wenigstens einigermaßen die Heimat ersetzen.“
„Gewiß. Ich habe Verwandte und hegte auch schon denselben Gedanken wie Sie. Ich habe geschrieben.“
„Und werden sie kommen?“
„Das weiß ich nicht, da ich keine Antwort erhalten habe. Vielleicht sind sie verschollen.“
„Nun, in Deutschland ist das doch nicht so leicht.“
„Warum nicht? Ich hatte einen Bruder, welcher Lehrer war. Er ist wohl tot. Seine Witwe hat mit den Kindern nicht von der armen Pension zu leben vermocht. Nun sind sie auseinander gegangen, eins dahin und das andre dorthin, und keins ist mehr aufzufinden. Ich werde dafür bestraft, daß ich ihnen so lange Jahre keine Nachricht von mir zugehen ließ.“
„Nun, man darf die Hoffnung nie ganz aufgeben.“
„Das wohl; aber ich werde morgen, oder vielmehr heut, denn es ist schon nach Mitternacht, und um ein Uhr bin ich geboren, Sechsundsechzig Jahre. Da hat man nicht mehr viel Zeit zum Hoffen und Warten übrig. Ihre Gegenwart macht mir den Geburtstag diesmal zum wirklichen Freudentag. Wir werden ihn feiern, denn ich habe Zeit dazu. Meine Leute arbeiten nicht, und ich werde Essen und Trinken unter sie verteilen lassen. Schlafen Sie jetzt wohl und ein frohes Wiedersehen nach dem Erwachen!“
Er ging.
„Noch vor dem Erwachen, ja, noch vor dem Einschlafen“, lachte der Methusalem leise hinter ihm her.
Er wartete noch eine Viertelstunde, bis im Haus alles ruhig war; dann wollte er zu Richard und Gottfried gehen. Aber da wurde seine Tür leise geöffnet; der letztere steckte den Kopf herein und
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