32 - Der Blaurote Methusalem
letztere vor, was ich ihnen aus wohl erwogenen Gründen nicht verdenken kann.“
Mijnheer van Aardappelenbosch sah von einem zum andern. Er wußte nicht, was er denken solle. Hier ein Patriarch aus dem alten Testament und dort ein Ritter aus der Zeit der Kreuzzüge, beide nach einer ihm unbegreiflichen Art gekleidet! Der dritte nun gar ein unechter Mandarin, der Bier wie Wasser trank. Über Richard brauchte er sich den Kopf nicht zu zerbrechen; aber die andern waren ihm rätselhaft, zumal die Ausdrücke des Methusalem und seines Wichsiers so dunkel waren, daß er den Sinn derselben nicht recht zu erfassen vermochte.
Degenfeld sah ihm das an und erlöste ihn aus seiner Pein, indem er ihm wohlwollend sagte: „Nicht wahr, Sie können nicht recht begreifen, wen Sie vor sich haben? Sie sollen bald Klarheit haben. Wo wohnen Sie?“
„Hier im Hotel, Mijnheer.“
„So nehmen Sie bei uns Platz, denn wir werden auch hier logieren!“
Er schob ihm zwei Stühle zusammen, und der Holländer ließ sich auf dieselben nieder.
„Hier logieren?“ fragte Turnerstick. „Das fällt mir nicht ein! Wir müssen ja nach Kanton. Wir fahren mit dem Dampfboot.“
„Das geht wöchentlich nur zweimal. Ich habe mich beim Konsul erkundigt. Das nächste geht erst in drei Tagen ab.“
„Was? Wie? Und so lange sollen wir hier warten?“
„Ja, wenn wir es nicht vorziehen, uns auf einer chinesischen Dschunke einzuschiffen.“
„So tun wir das, wenn wir da auch viel langsamer vorwärts kommen.“
„Nun, eine Dschunke läuft ziemlich schnell, wenn sie guten Wind hat und mit der Flut aufwärts geht. Aber wollen Sie es wirklich wagen, sich einem solchen Fahrzeug anzuvertrauen?“
„Warum nicht? Fürchten Sie sich?“
„Fürchten, nein, obgleich ich gelesen habe, daß man sich möglichst in acht nehmen solle, da es Dschunken gibt, denen nicht zu trauen ist. Aber ich denke an die Unreinlichkeit, welche uns sehr lästig werden könnte.“
„Pah! Werde die Kerls schon zur Reinlichkeit bringen. Bin ja Mandarin!“
„Wird man das glauben?“
„Will keinem raten, daran zu zweifeln! Wird überhaupt gar niemanden geben, der mich nicht für einen Mandarin hält. Ich mit meiner Kleidung, meiner persönlichen Würde, meinen tiefen Sprachkenntnissen und vortrefflichen Endungen. Wenn ich diesen Menschen mit meinem Kank-keng-king-kong-kung angesegelt komme, so verkriechen sie sich aus lauter Respekt in alle Löcher. Die Hauptsache ist nur, schnell eine Dschunke zu finden.“
„Habe mich auch in dieser Beziehung erkundigt. Mit der morgen Vormittag steigenden Flut segelt eine hier ab. Sie heißt Schui-heu, zu deutsch ‚Königin des Wassers‘.“
„Schöner Name, der etwas verspricht. Eine Königin muß sauber sein. Unreinlichkeit werden wir also nicht zu befürchten haben. Und da eine Regentin sich nicht wohl mit Gesindel befassen kann, haben wir auch Sicherheit vor sonstigen Unbilden. Was hat sie geladen?“
„Allerlei Artikel. Etwas Spezielles konnte ich nicht darüber erfahren. Ich habe sie übrigens schon gesehen.“
„Sah sie schmuck aus?“
„Recht leidlich.“
„Und haben Sie mit dem Kapitän gesprochen? Das ist ja die Hauptsache.“
„Da haben Sie unrecht, obgleich Sie selbst Kapitän sind. Der eigentliche Kapitän oder Pilot, hier Ho-tschang genannt, hat mit der Ladung, mag dieselbe nun aus Gütern oder Menschen bestehen, gar nichts zu schaffen. Er hat sich allein nur mit der Leitung des Schiffes zu beschäftigen. Wer Fracht aufgeben oder selbst mitfahren will, hat sich an den Eigentümer der Dschunke oder dessen Superkargo zu wenden. Und das habe ich getan.“
„Schon mit ihm abgeschlossen?“
„Nein, denn ich wußte nicht, ob ich Ihre Einwilligung erhalten würde. Übrigens gefiel mir der Mann gar nicht so recht.“
„Warum?“
„Das kann ich eigentlich nicht sagen. Er hatte ein Gesicht, welches mir Mißtrauen einflößte, und seine allzu große Höflichkeit stieß mich ab.“
„Unsinn! Gesicht! Danach darf man gar nicht gehen. Mancher Schurke hat das einnehmendste Gesicht, und mancher Häßliche ist ein Ehrenmann. Und Höflichkeit muß sein. Ich wollte es keinem Sohn der Mitte raten, es daran fehlen zu lassen. Schließen Sie immerhin ab! Morgen segeln wir. Kennen Sie die Höhe des Passagepreises?“
„Das Fahrgeld wird hier sehr drolliger, aber ganz bezeichnender Weise Schui-kio genannt; das heißt wörtlich ‚Wasserbeine‘. Die Geldstücke, welche man bezahlt, sind die Beine, mit denen man über das
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