Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
gegenüber hatte.
    Es war ihm anzusehen, daß er nun ein kleines Gespräch im Interesse der Verdauung für nützlich hielt. Er hatte gehört, welcher Sprache sich die andern bedienten, und sagte daher in leidlichem Deutsch: „Ik verzoek – ich bitte, mijne Heeren, sind Sie nicht Deutsche?“
    „Ja“, antwortete Gottfried.
    „Dachte es mir. Auch ich bin in Deutschland gewesen, als Kommis in Köln am Rhein; damals war ich noch jünger als jetzt.“
    „Wahrscheinlich!“
    „Nein, wirklich! Damals zählte ich twintig Jaren, und jetzt bin ich fast vijf en veertig. Damals war ich een ongelukkige nijlpaard, en jetzt bin ich een zware (schwerer) Mann mit gezouten (gesalzenen) Erfahrungen. Damals habe ich die deutsche Sprache erlernt, und das freut mich jetzt, weil ich mich mit Ihnen unterhalten kann.“
    „Die Freude ist beiderseitig, Mijnheer.“
    „Sehr schön! Gefalle ich Ihnen?“
    „Außerordentlich!“
    „Sie mir auch. Ich bin nämlich Mijnheer Willem van Aardappelenbosch und komme von Java, wo ich Pflanzungen von Ryst (Reis) und Tabak hatte. Ich habe verkauft und will nun sehen, ob ich hier in China etwas Ähnliches finde.“
    „Etwas Ähnliches? Warum haben Sie dann dort verkauft?“
    „Wegen dem Klima, welches mir schädlich wurde. Ich konnte niet mehr essen und niet mehr trinken; ich schwand zusammen, daß ich jetzt nur noch een Gespenst von früher bin.“
    „Hallo! Dann möchte ich Sie früher gesehen haben, Mijnheer von Aardappelenbosch!“
    „Jawohl!“ seufzte der Dicke, indem er sich mit beiden Händen liebkosend über den Bauch strich. „Damals aß ich für twaalf Männer, jetzt aber esse ich niet mehr für eenen halfen!“
    „Schrecklich!“
    „Nicht wahr! Ich bin ganz sterfelijk (sterblich) geworden. Was nützt mir mein Zilver (Silber), mein Goud (Gold), mein Rijkdom (Reichtum), wenn ich niet essen und niet trinken kann? Nur wer tüchtig essen und trinken kann, darf gelukkig (glücklich) und tevreden (zufrieden) sein. Darum habe ich Abschied von dem dortigen Klima genommen und bin nach China gekommen, um mich wieder dick und fett zu essen.“
    „Nun, hoffentlich ist dieses Vorhaben von gutem Erfolg. Aber Ihre Haut, Mijnheer, Ihre Haut!“
    „Was ist mit der Haut? Nicht wahr, sie hat ein ganz krankhaftes Aussehen?“
    „Das möchte ich nicht behaupten; aber ob sie zulangen, ob sie ausreichen wird!“
    „Zulangen? Ausreichen?“
    „Ja. Wenn Sie noch dicker werden wollen, so muß sie unbedingt platzen.“
    „Platzen? O mijn hemelsche Vader! Da hätten Sie mijne Haut früher sehen sollen! Die glänzte wie eene rosenrote Speckswarte! Wenn ich niet baldige Beterschap (Genesung) finde, so sterbe ich im Handumdrehen.“
    „Und diese Besserung suchen Sie in China?“
    „Ja.“
    „Warum?“
    „Weil mijn Geneesheer (Arzt) sagte, das Klima sei in Java zu südlich. Er riet mir, nach Norden zu gehen, und was liegt im Norden? Doch China! Vielleicht werde ich hier wieder gesund. Früher glich ich im Gesicht der hellen Sonne; jetzt aber bin ich nur noch die reine Maansverduistering (Mondfinsternis).“
    „So müssen Sie wohl an einer abzehrenden Krankheit leiden?“
    „An einer, nur einer? Dann wäre ich ganz glücklich! O nein, ich leide an twintig, dertig, veertig, an honderd verschiedenen Krankheiten.“
    „Das ist schlimm. Wo liegen dieselben denn?“
    „Wo? Überall!“
    „Nun, zum Beispiel?“
    „Im ganzen Lischam (Leib), im Aangezicht, im Oogappel, in de Oren und de Oorlapjes, im Kinnebak, in de Keel und Gorgel, im Elleboog und in de Vingers, im Maag und zwischen den Ribben, in den Benen und den Voetzolen, in de Long und de Lever, in de Gal und de ganze Romp. Ich schwebe stündlich zwischen Leven und Dood, und nur Essen und Trinken kann mij retten. Ich bin ein elendes Schepsel und würde gern honderdduizend Gulden geben, wenn ich einen Offizier van der Gezondheid wüßte, der mich retten kann!“
    Er zählte seine Leiden in so traurigem Ton auf, und seine Gestalt stand so im Widerspruch mit diesen Klagen, daß es großer Selbstbeherrschung bedurfte, nicht zu lachen. Gottfried machte sein mitleidigstes Gesicht und fragte in teilnehmendem Ton: „Glauben Sie etwa, daß die chinesischen Ärzte die Kunst besitzen, Sie herzustellen?“
    „Vielleicht. Es ist mijn letzter Versuch, den ich mache. Ich habe gesprochen mit Doktors aus Duitsland, aus Nederland, aus Frankrijk, aus Oostenrijk, aus Spanje, aus Zweden, aus Ostindien, aber keiner hat mij helfen könnt. Jetzt will ich es mit China

Weitere Kostenlose Bücher