32 - Der Blaurote Methusalem
nun auch die Offiziere auf, ihre Fragen vorzubringen. Sie lehnten es ab, und so sah er sich veranlaßt, den Geist zu verabschieden. Er schrieb eine höfliche Danksagung auf einen Zettel und verbrannte denselben. Der Geist aber besaß nicht weniger guten Ton, denn er fuhr in den Priester und zwang ihn, mit Hilfe des Pinsels in den Sand zu schreiben: „Meine Herren, ich war sehr erfreut, Sie kennenzulernen, und danke Ihnen innigst für die Gaben, mit denen Sie mich beglückt und gestärkt haben. Ich muß nun schleunigst fort, denn es warten noch viele andre auf meine Hilfe, und so ersuche ich Sie, mich gefälligst nach der Treppe zu geleiten.“
Nachdem diese Abschiedsworte vorgelesen worden waren, wurde denselben Folge geleistet. Jeder der Anwesenden bekam ein brennendes, gelbes Papier in die Hand, und dann wurde ein Zug gebildet, um dem Geist das Ehrengeleit nach der Schiffsleiter zu geben. Er ging wieder so, wie er gekommen war, nämlich zwischen dem Kapitän und dem Steuermann, und obgleich er nicht zu sehen war, verbeugten sich doch alle unaufhörlich, bis er das Schiff verlassen hatte.
Die Deutschen waren auf ihren Plätzen geblieben. Es fiel ihnen nicht ein, den Hokuspokus mitzumachen und dadurch die Meinung zu erwecken, als ob sie demselben Glauben schenkten. Einiges daran war ihnen freilich unverständlich.
„Ein tüchtiger Esser und Trinker war dieser Jeist“, meinte Gottfried. „Er muß sehr lange jefastet haben.“
„Unsinn!“ sagte Turnerstick. „Der Priester hat alles getrunken und gegessen.“
„Dieser dürre, kleine Kerl? Dat will mich nicht in den Kopf. Ich habe von hier aus jerochen, dat der Branntwein nicht janz ohne war. Er duftete wie neunzigjrädiger Spiritus. Und so ein Topf voll? Nein, dat ist der Priester nicht jewesen.“
„Ik ben't geweest“, erklärte da der Dicke. „Ik heb den Brandewijn dronken.“
„Sie?“ fragte Methusalem erstaunt. „Sie haben ihm den Krug wegstibitzt?“
„Ja.“
„Und ihn vollständig geleert?“
„Ja; hij was dook zeer klein en de Brandewijn zwack – Ja, er war doch sehr klein und der Branntwein schwach.“
„Da geht mir freilich ein Licht auf! Dann haben Sie wohl auch den ganzen Kuchen gegessen?“
„Ich heb hij opefreten – Ich habe ihn aufgefressen.“
„Und das viele Fleisch?“
„Heb ik ook opefreten – Habe ich auch aufgefressen.“
„Aber Sie haben doch vorher im Hotel so reichlich gespeist! Wie ist es Ihnen denn da zumute? Wie befinden Sie sich da?“
„Zeer wel, allerbest; ik heb den koek zeer gaarne en ook het vlees – Sehr wohl, vortrefflich; ich habe den Kuchen sehr gern und auch das Fleisch.“
„Nun, dann brate nicht mir, sondern Ihnen einer einen Storch! Ich glaube, Sie würden auch diesen verzehren!“
„Een ooievaar? Waarom niet, als hij goed gebraden is – Einen Storch? Warum nicht, wenn er gut gebraten ist?“
Er sagte das mit einem solchen Ernst und so unbefangen, daß die andern ein lautes Gelächter aufschlugen. Soeben kehrten die Chinesen von der Begleitung des Geistes zurück. Die Matrosen zerstreuten sich über das Verdeck; die Offiziere aber nahmen den Priester in ihre Mitte und begannen mit ihm ein sehr erregtes Verhör über den außerordentlichen Appetit, welchen der Geist entwickelt hatte. Er beteuerte seine Unschuld; sie aber glaubten ihm nicht und zwangen ihn, seine Taschen zu zeigen. Wie erstaunten sie, als sie dieselben leer fanden! Sie hatten den Priester nicht aus den Augen gelassen; er konnte also den Kuchen und das Fleisch nicht anderweit versteckt haben, und so gaben sie endlich kopfschüttelnd zu, daß heute einmal ausnahmsweise ein wirklicher Geist dagewesen sei.
Der Methusalem hatte sie von weitem beobachtet. Er erriet aus ihren Bewegungen den Gegenstand und Inhalt ihres Gespräches. Jetzt kamen sie herbei, um sich zu erkundigen, welchen Eindruck das Kong-pit auf ihn und seine Gefährten gemacht habe. Sie waren überzeugt, den Fremden außerordentlich imponiert zu haben. Degenfeld hätte ihnen seine Meinung so gern aufrichtig gesagt, aber damit hätte er sich sofort in Mißkredit gebracht, denn die Sitte befiehlt dem Chinesen, in allen Fällen höflich zu sein, und erlaubt ihm keine Ausnahme von dieser Regel. Darum verheimlichte der Blaurote seinen Unglauben und beantwortete aber die an ihn gerichteten Fragen mit möglichster Gleichgültigkeit. Darüber verwunderten sie sich so, daß der Ho-tschang fragte: „Hat euch denn die Anwesenheit des Geistes nicht in Verwirrung
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