32 - Der Blaurote Methusalem
gebracht?“
„Nein. Wie könnte sie das?“
„Der Geist ist doch ein höheres Wesen als der Mensch.“
„Das sagt ihr; ihr werdet mir aber wohl erlauben, andrer Meinung zu sein.“
„Dürfen wir diese Meinung erfahren?“
„Ja. Welches ist das höchste irdische Wesen?“
„Der Mensch.“
„Woraus besteht er?“
„Aus dem Leib und dem Geist.“
„Ganz richtig. Wäre der Leib allein auch ein Mensch?“
„Nein.“
„Oder der Geist allein?“
„Auch nicht.“
„Wenn also weder der Leib allein noch der Geist allein würdig ist, ein Mensch genannt zu werden, so steht ihre Vereinigung, der Mensch, hoch über beiden. Wie könnte daher mich, der ich zu der Klasse der höchsten irdischen Geschöpfe zähle, die Anwesenheit eines Geistes, der unter mir steht, Verwirrung bringen!“
Diese Logik, gegen welche er nichts zu sagen wußte, verblüffte den Ho-tschang. Dennoch fand er eine Entgegnung, welcher er auch Worte gab.
„Aber dieser Geist ist ein Wang gewesen!“
„Jetzt ist er es nicht mehr, und euer berühmtes Li-king, das Buch, nach welchem ihr euch in allen Lebenslagen zu richten habt, befiehlt euch, jedem die Ehre des Standes zu geben, welchem er augenblicklich angehört. Wie könnt ihr euch vor einem Geist fürchten, der zwar Wang war, aber nicht mehr ist.“
„Vielleicht hat euer Volk recht, vielleicht das unsrige. Wir wollen uns nicht streiten. Aber da uns eine so glückliche Fahrt prophezeit worden ist, müssen wir uns darüber freuen, und diese Freude wollen wir durch ein Mahl feiern, zu welchem wir euch ehrerbietigst einladen.“
„Wir danken euch! Wir wissen, was uns die Höflichkeit gebietet, und bitten euch also, euer Mahl allein zu verspeisen.“
„Ihr versteht mich falsch. Wir meinen unsre Einladung in vollem Ernst.“
„Auch mir ist es völlig Ernst mit meiner Abweisung. Folgte ich eurer Bitte, so müßtet ihr uns für sehr unbewanderte und unhöfliche Menschen halten. Ihr seid so höflich, uns einzuladen, wie dürften wir da so unhöflich sein, euch dadurch zu belästigen, daß wir euern Wunsch erfüllen!“
Der Blaurote hatte nach chinesischen Begriffen vollständig recht. Man darf nur derjenigen Einladung folgen, welche in aller Form und unter Überreichung eines großen, farbigen, dazu hergerichteten Papierbogens geschieht.
„Wir meinen unsern Wunsch wirklich aufrichtig“, drängte der Ho-tschang. „Wir haben keine gedruckten Einladungen an Bord, und da ich englisch spreche, meine ich meine Einladung nicht chinesisch.“
„Darf ich es glauben?“
„Ja, ich bitte sehr darum.“
„So will ich es wagen, die Einladung anzunehmen. Wann wird das Essen beginnen?“
„In einer halben Stunde. Ich selbst werde euch abholen. Fleisch kann ich euch leider nicht vorsetzen, denn das hat der Geist verzehrt.“
„Ich habe es bisher nicht gewußt, daß Geister Fleisch essen. Vielleicht haben sie eine besondere Vorliebe für denjenigen Braten, welchen ihr ihm vorsetztet. Werdet ihr die Güte haben, mir zu sagen, von welchem Tier dieses Fleisch gewesen ist?“
„Es war Dschi, das delikateste Essen, welches es nur geben kann. Darum hat der Geist uns leider nichts übriggelassen.“
Indem der Methusalem zu seinen Gefährten zurückkehrte, welche während dieser Unterhaltung von fern gestanden hatten, lachte er über dieses Dschi still in sich hinein. Er führte sie nach dem Bug zu, da er ihnen eine Mitteilung zu machen hatte und unbeobachtet sein wollte.
Dort angekommen, teilte er ihnen mit, daß sie zum Abendessen eingeladen seien, und fügte lächelnd hinzu: „Aber Mijnheer van Aardappelenbosch wird da wohl nicht viel leisten können.“
„Waarom niet?“ fragte der Dicke. „Ik ete en drink zeer gaarne.“
„Aber Sie haben am Nachmittag schon tüchtig gespeist und jetzt am Abend wieder.“
„Immers, doch heb ik evenwel alreeds wederom honger – Allerdings, doch habe ich trotzdem schon wiederum Hunger.“
„Mijnheer, ist das möglich? Was für einen Magen müssen Sie haben?“
„Ja, mijn maag is goed, maar mijn buik niet. Hij is zoo zwak – Ja, mein Magen ist gut, aber mein Bauch nicht. Er ist so schwach.“
Er legte mit der traurigsten Miene die Hände an den Bauch und fragte dann den Methusalem in dringlichem Ton: „Wat zegt het woordenboek von de buik?“
„Was das Wörterbuch von dem Bauch sagt? Das wollen wir nicht erörtern. Ich halte es für viel interessanter, Sie zu fragen, ob Sie wissen, was für Fleisch Sie gegessen haben.“
„Gebraden
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