32 - Der Blaurote Methusalem
gelbbraun und sein Schädel nicht breit wie bei einem solchen. Von vorstehenden Backenknochen ist keine Rede. Dazu kommt, daß sein Englisch einen eigentümlich amerikanischen Beigeschmack hat. Er spricht gebrochen, bringt aber dabei zuweilen Wortverbindungen, welcher sich nur einer, dem die Sprache geläufig ist, bedienen kann. Auf das alles habe ich vorher kein Gewicht gelegt; nun ich aber Verdacht fasse, denke ich daran. Fast möchte ich ihn für einen Yankee halten, und in diesem Fall wäre es kein Wunder, daß er deutsch versteht, da sich in den Vereinigten Staaten Millionen unsrer Landsleute befinden.“
„Ein Yankee unter chinesischen Matrosen?“ meinte Turnerstick. „Könnte einer sich wirklich so vergessen?“
„Warum nicht. Kann er nicht aus irgendeiner Ursache vom Schiff gelaufen sein?“
„Hm! So etwas kommt freilich öfters vor. Und die Zopfleute nehmen einen befahrenen Matrosen jedenfalls sehr gern bei sich auf. Wenn Sie recht haben, so ist der Kerl ein Deserteur, dem nichts Gutes zuzutrauen ist.“
„Das ist auch meine Ansicht. Warum lauscht er? Warum verschweigt er seine Nationalität? Warum sagt er wieder, was er gehört hat? Warum bekennt er nicht offen, daß er uns versteht? Er verfolgt eine Absicht, welche keine gute ist. Warum hat man gerade ihn zu unsrer Bedienung kommandiert? Er steht im Einvernehmen mit dem Kapitän gegen uns. Man hat irgend etwas Böses gegen uns vor.“
„So schlimm wird es wohl nicht sein. Ist er wirklich ein entlaufener Matrose, so hat er Grund, es uns nicht wissen zu lassen. Es ist da keineswegs gleich zu behaupten, daß man im allgemeinen und er im besondern böse Absichten gegen uns im Schilde führt.“
„Mag sein! Aber wir wollen uns gegen ihn beobachtend verhalten und in seiner Gegenwart nicht wieder von unsern Angelegenheiten sprechen. Ich werde ihm auf den Zahn fühlen, und zwar so, daß er sich verraten muß. Am liebsten möchte ich das Schiff verlassen. Die Gesichter gefallen mir hier nicht.“
„Pah! Wer wird da gleich so Schlimmes denken. Ich habe Sie gar nicht für so ängstlich gehalten, wie ich Sie jetzt finde.“
„Ich bin nur vorsichtig, nicht furchtsam. Vielleicht täusche ich mich; aber ich werde mich sehr aufmerksam verhalten. Wäre ich allein, so würde ich von Bord gehen und mein Passagegeld schwimmen lassen. Sie aber sind andrer Ansicht, ich muß mich fügen.“
„Wij blijven op uwe scheep“, meinte der Dicke. „Wij bekomen een goed avondeten. Zou den wij daar fort gaan, zoo zouden wij zere ongelukkige nijlpaard zijn – Wir bleiben auf unsrem Schiff. Wir bekommen ein gutes Abendessen. Wollten wir da fortgehen, so würden wir sehr unglückliche Nilpferde sein.“
Dies war auch die Meinung der andern, und so mußte der Methusalem sich fügen.
SIEBENTES KAPITEL
Unter Piraten
Während unsre Helden sich über die Weiterfahrt schlüssig gemacht hatten, war der angebliche Malaie nicht zugegen gewesen. Bald darauf kam der Ho-tschang, um seine Passagiere zum Mahl abzuholen.
Die ihnen angewiesene Kajüte lag am Steuerbord des Vorderteiles. Ein direkt am Steven gelegener schmaler Raum wurde zur Aufbewahrung von allerlei Schiffsgerätschaften benutzt. Der daran grenzende breitere Teil des Aufdeckes war in zwei Hälften geteilt, deren jede einen besonderen Eingang hatte. Die rechts liegende Hälfte hatten die Reisenden inne. Ihre Wohnung wurde durch zwei Lukenöffnungen, welche in der Schiffswand angebracht waren, erleuchtet. Diese Fenster waren nicht mit Glas, sondern mit hölzernen Schiebern versehen, um sie bei schlechtem Wetter verschließen zu können.
Das Mahl sollte auf dem Mitteldeck eingenommen werden, an derselben Stelle, an der vorhin die Geisterbeschwörung stattgefunden hatte. Der Platz war jetzt mit vielen Lampen erleuchtet, welche aus gummiertem Reispapier gefertigt waren und einen sehr hübschen Eindruck hervorbrachten. An zwei zusammengeschobenen Tischen standen neue Bambussessel. Die Gedecks bestanden für jeden Gast aus einem Teller, einer kleinen Tasse, welche als Trinkglas zu dienen hatte, einer Art von dickem Porzellanlöffel, welcher aber so unförmig war, daß er kaum in den Mund gebracht werden konnte, und den elfenbeinernen Eßstäbchen, von den Engländern Chopsticks genannt, während sie bei den Chinesen Kwei-tze heißen.
Der Chinese hat keine eigentlichen Löffel: ebensowenig bedient er sich des Messers oder der Gabel bei Tafel. Alle festen Speisen, Fleisch usw. werden klein geschnitten serviert. Der
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