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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wartete, bis die Schreienden
glaubten, daß das Schiff sich geleert habe, und sich einen andern Ort
suchten, um dort denselben Spektakel zu wiederholen.
    In Scha-mien gibt es nur einen einzigen Gasthof, welcher einem
portugiesischen Wirt gehört. Dorthin begaben sich die sechs zunächst,
und zwar ganz in der bekannten Weise und Reihenfolge.
    Es versteht sich von selbst, daß sich sogleich eine Menge Menschen
fanden, welche von dem Anblick der für sie fremdartigen, sonderbaren
Gestalten herbeigelockt wurden. Der Ausruf ‚Fan-kwei‘, fremde Teufel,
wurde vielfach hörbar, doch wagte niemand, die Reisenden zu belästigen,
wohl wegen deren würdevoller Haltung und weil man in Turnerstick
wirklich einen Mandarin vermutete.
    Der Gasthof war keineswegs ein Hotel zu nennen. Die Europäer werden
am Tag über von ihren Geschäften vollständig in Beschlag genommen, und
des Abends versammeln sie sich in ihren verschiedenen landsmännischen
Klubs, so daß der Gastwirt nicht auf sie rechnen kann und sich also auf
niedriger stehende Gäste einrichten muß.
    Er bot den Reisenden sogleich Zimmer an; Degenfeld aber lehnte ab
und fragte nur, ob Bier zu haben sei. Er hatte keins, erbot sich aber,
welches aus dem nahen Klubhaus holen zu lassen, und bald bekamen sie
einen vortrefflichen Bergedorfer Gerstensaft vorgesetzt, den sie sich
aus dem Stammglas des Blauroten munden ließen.
    „Ich dachte, Sie wollten hier kein Bier mehr jenießen“, meinte der
Gottfried. „Wenigstens sagten Sie in Hongkong so, von wejen die teuren
Preise.“
    „Ja, dat heest hij gezegd – Ja, das hat er gesagt“, stimmte der Dicke bei.
    „Oh, der Methusalem und kein Bier! Dat paßt nie zusammen.“
    „Paßt schon!“ sagte Degenfeld. „Heut aber darf ich es mir schon noch
bieten. Wir haben für diese ganze Woche im Hotel nichts zu bezahlen
gehabt, weil wir als Zeugen zum Bleiben gezwungen waren. Old England
hat unsre Zeche übernommen. Darauf können wir uns nun einige Gläser
genehmigen. Aber unser Freund Liang-ssi wird nicht länger teilnehmen
können.“
    „Warum nicht?“ fragte der Genannte.
    „Weil Sie fort müssen, nämlich zuerst zu dem Agenten, welcher den
Brief nach Deutschland besorgte, und sodann zum Tong-tschi, um ihm zu
melden, daß wir angekommen sind. Wir werden hier abwarten, ob der
erstere uns vielleicht hier aufsucht und ob der letztere sein Wort hält
und uns zu sich kommen läßt.“
    Daraufhin entfernte sich der Chinese, um draußen sich einen Palankin
zu nehmen und die beiden Personen aufzusuchen. Die andern tranken
weiter.
    Die noch im Zimmer anwesenden Gäste starrten die fünf mit
verwunderten Augen an. Es waren einige Europäer unter ihnen, die nicht
erstaunt zu sein brauchten, kaukasisch geschnittene Gesichter hier zu
sehen; aber daß die Leute Studententracht trugen, hier im fernen China,
das kam ihnen mehr als sonderbar vor.
    Der Methusalem fühlte sich gelangweilt von diesen immerfort auf ihn
gerichteten Blicken. Er sah, daß hinter dem Haus ein Garten lag, und
ging hinaus, um einmal einen chinesischen Garten in Augenschein zu
nehmen.
    Wenn er geglaubt hatte, hier echt chinesische Anlagen zu erblicken,
so war er in einer großen Täuschung befangen gewesen. Der Garten war
klein, auf drei Seiten von Mauern umgeben, stieß mit der vierten an das
Haus und zeigte nicht einmal eine Blume, sondern nur Küchengewächse.
    Nur an der dem Haus gegenüberliegenden Mauer stand ein schön
blühender Strauch, den er noch nicht kannte. Er trat näher, um die
Blüten genauer zu betrachten. Da hörte er einen Pfiff jenseits der
Mauer, an der Stelle, wo er diesseits stand. Die Mauer reichte ihm bis
an die Schulter. Nicht aus Neugierde, sondern ganz unwillkürlich bog er
den Kopf vor, um zu sehen, wer da gepfiffen habe.
    Es stand ein Chinese draußen, welcher sehr gut gekleidet war, also
der besseren Klasse angehören mußte. Auch derjenige, welchem der Pfiff
gegolten hatte, war zu sehen. Dieser gehörte ganz gewiß dem niedrigsten
Pöbel an. Er war barfuß; die Hose reichte ihm nur bis an die Knie;
anstatt eines Rockes oder einer Jacke trug er einen aus langen
Grashalmen gefertigten Umhang in Form eines rundum vom Hals bis auf den
Unterleib niederhängenden Kragens. Der Kopf war unbedeckt und mit einem
dünnen Zöpfchen verziert, welches einem Rattenschwanz sehr ähnlich sah.
    An der Mauer führte ein gerader, schmaler Weg vorüber, jenseits
dessen hinter Mauern wieder Gärten lagen. Auf diesem Weg, zwischen den
Mauern, kam der Mann

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