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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Mit
Behagen sieht er, wie sie sich die Glieder abbeißen, sich gräßlich
verstümmeln und selbst dann noch kämpfen, wenn sie nur noch aus dem
gliederlosen Rumpf bestehen. Ist es da ein Wunder, daß die Grausam- und
Gefühllosigkeit des Chinesen als eine seiner hervorragendsten
Eigenschaften bezeichnet werden muß?
    Dort spielen zwei Knaben Ball. Sie schleudern ihn einander nicht zu;
sie fangen und schlagen ihn nicht; sie werfen ihn nicht an eine Mauer,
um ihn abprallen und rikoschettieren zu lassen. Der eine schlägt den
Ball mit der flachen Hand so oft in die Höhe, als es ihm möglich ist,
ohne ihn zur Erde fallen zu lassen. Ist dieses letztere geschehen, so
nimmt der andre ihn auf und versucht dasselbe Spiel. So stehen sie
still und stumm nebeneinander, doch nein, nicht stumm, denn sie zählen.
Für jeden Schlag, der dem ersten mehr gelingt als dem zweiten, hat
dieser letztere einen Kern, eine Frucht oder sonst etwas zu bezahlen.
Dabei suchen sie einander nach Kräften zu betrügen. Hier entspringt der
große Eigennutz, die gewissenlose Schlauheit, welche den Chinesen
auszeichnet.
    Das Hauptspiel der Knaben ist das Drachensteigenlassen. Es ist das
sogar ein Sport, den die erwachsenen Männer, reich und arm, vornehm und
niedrig, treiben. Der Chinese hat es darin zu einer Fertigkeit
gebracht, welche Bewunderung erregt und einer bessern Sache wert wäre.
Es gibt wohl kaum irgendein Tier, dessen Gestalt der Sohn der Mitte
nicht, in Papier nachgeahmt, in die Luft steigen ließe. Am prächtigsten
bildet er den Tausendfuß nach; die Gestalt ist oft an die dreißig Ellen
lang und ahmt die Bewegungen des Tieres mit merkwürdiger Naturtreue
nach. Habichte steigen an einer und derselben Schnur in die Höhe und
umkreisen einander genauso, wie wirkliche Habichte es an windigen Tagen
tun.
    Während der deutsche Knabe seinen Drachen aus reiner, unschuldiger
Lust an der Sache steigen läßt, verbindet der Tschin-tse-tsi mit diesem
Spiel eine Absicht, welche uns nicht als lobenswert erscheinen dürfte.
Er bestreicht die Schnur mit einem Klebstoff und streut gestoßenes Glas
darauf. Mit der so präparierten Schnur sucht er dann die Drachenschnüre
andrer Knaben zu durchschneiden oder zu durchsägen, daß deren Drachen
vom Wind mit fortgenommen werden. Sollte damit nicht die bekannte
chinesische Hinterlist und Schadenfreude großgezogen werden?
    Turnanstalten gibt es keine im ganzen Reich, so groß dasselbe ist. Daher der Mangel an Mut und körperlicher Gewandtheit.
    Mädchen sieht man niemals im Freien spielen. Sie scheinen zu
derselben Abgeschlossenheit wie ihre Mütter verurteilt zu sein. Es ist
sehr schwer, bei einem Besuch die Frau des Hauses zu Gesicht zu
bekommen. Und doch haben die Chinesen sich das nicht von den Hoeihoei
(Mohammedaner) angeeignet, deren es Millionen bei ihnen gibt.
    So spielt die Jugend fast nur, um die schlechten Eigenschaften zu
entwickeln, welche sich beim Erwachsenen ausgebildet haben. Spricht ein
Fremder mit einem Knaben, so bekommt er keine lebhaften Antworten zu
hören, kein freundlich lächelndes Gesicht zu sehen. Es ist ganz so, als
ob er mit einem Alten spräche. Wie gesagt, schon die Jugend macht einen
greisenhaften Eindruck.
    Und wie der Greis, welcher sich am Spätabend seines Lebens nicht
erst von seinen bisherigen Anschauungen trennen will, so ist auch der
Chinese wenig oder gar nicht bereit, die Ansichten andrer sich
anzueignen. Dies ist besonders in religiöser Beziehung der Fall,
weshalb die christliche Mission in China noch gar keine nennenswerten
Früchte getragen hat.
    Mag der Missionar die herrlichen Lehren des Christentums immerhin
noch so eifrig und noch so begeistert entwickeln, der Chinese hört ihm
ruhig zu, ohne ihn zu unterbrechen, denn das gebietet die Höflichkeit;
aber am Schluß wird er freundlich sagen: „Du hast sehr recht und ich
habe auch recht. Put tun kiao, tun li; ni-men tschu hiung“, zu deutsch:
„Die Religionen sind verschieden, die Vernunft ist nur eine; wir sind
alle Brüder.“
    Die Neuerungen, welche die letzten Jahrzehnte dem Land gebracht
haben, sind demselben entweder aufgezwungen worden, oder der Chinese
hat sich zu ihnen nur aus Eigennutz verstanden. Sie sind auch nur in
Küstengegenden zu spüren, während das Landesinnere nach wie vor wie ein
Igel die Stacheln gegen jede fremde Berührung sträubt.
    Kanton ist diejenige Stadt, in welcher der lebhafteste
Fremdenverkehr herrscht. Darum verhält man sich dort gegen den
Ausländer und seine Kultur nicht

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