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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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machen, daß alle Schuld auf den Lin (Nachbar) fallen muß. Aber wann bekomme ich das Geld?“
    „Morgen um dieselbe Zeit komme ich hierher, um es dir zu bringen.“
    „Und wann soll es geschehen? Wohl noch heute? Ja? Je eher, desto
besser. Das dieser Hu-tsin baldigst für die Beleidigung bestraft wird,
welche ich freilich noch gar nicht kenne.“
    „Es ist eine doppelte. Er weiß die Käufer an sich zu locken, so daß
ich oft ganze Tage lang im Laden sitze, ohne einen Li einzunehmen.
Darüber ärgerte ich mich und sagte ihm, daß er die Tochter eines T'eu
(Bettlerkönig) zum Weib habe. Darauf beschimpfte er mich dadurch, daß
er öffentlich sagte, einige meiner Ahnen seien durch den Henker
gestorben, und außerdem könne er nachweisen, daß ich kein ehrlicher
Goldschmied sei, da ich mit geringem Metall arbeite und mich einer
falschen Waage bediene. Nun sind auch diejenigen Kunden, welche ich
hatte, vollends von mir weggeblieben.“
    „Die erstere Beleidigung ist allerdings todeswürdig. Kein Mensch würde sie ungeahndet lassen. Wer läßt seine Ahnen beschimpfen!“
    „Kein wirklicher Sohn seiner Eltern! Er behauptete, meine Vorfahren seien überhaupt nur Tsien (unehrenwerte Leute) gewesen.“
    „So müßte er eigentlich vor den Richter kommen!“
    „Das fällt mir nicht ein. Man würde ihn bestrafen, aber ich hätte
ebensoviel zu bezahlen wie er. Diese Mandarinen gleichen dem tiefen
Sand, in welchem der Regen stets gleich verschwindet. Sie sind
unersättlich.“
    „Aber wenn er nicht verklagt wird, so wird man sagen, daß er doch recht gehabt haben müsse!“
    „Immerhin! Wenn er nun als der Dieb eines Gottes ertappt wird, ist
es nicht nur um sein Leben, sondern auch um seine Ehre geschehen, und
dann wird man mir gern glauben, wenn ich sage, daß er gelogen habe.
Dazu sollst du mir verhelfen und ich werde dich heute abend an meiner
Gartenmauer erwarten, sobald der Siüt-schi angebrochen ist. Für jetzt
aber wollen wir uns trennen. Der Ort ist zwar sehr einsam. Aus diesem
Grund und weil du hier im Sampan wohnst und mich in dieser Stadtgegend
kein Mensch kennt, habe ich diese Stelle für unsre Zusammenkünfte
gewählt. Aber es könnte doch jemand kommen. Hast du vielleicht noch
eine Frage?“
    „Nein.“
    „Und ich kann mich auf dich verlassen?“
    „So wie immer. Es ist ja nicht das erste Mal, daß ich für meinen
hochgeehrten Alten stehlen gehe, und ich habe mich immer seines
Beifalles erfreut. Also gehen wir. Tsing, tsing!“
    „Tsing leao!“
    Der Methusalem hörte, daß einer von ihnen sich entfernte. Es mußte
der Vornehme sein, welcher von dem Dieb Wing-kan genannt worden war.
Das laute Geräusch der Schritte konnte nur von Schuhen herrühren, und
der Verbrecher war ja barfuß.
    Nach wenigen Minuten war ein andres Geräusch zu hören. Es klang wie
ein mit den Händen verursachtes Kratzen oder ein Reiben des Körpers an
der Mauer. Der Blaurote trat schnell hinter den erwähnten Strauch und
bückte sich nieder, so daß dieser ihn vollständig verbarg. Gleich
darauf erschien das Gesicht des Diebes draußen über der Mauer. Er hatte
emporklettern müssen, weil der Weg tiefer als der Garten lag. Der Mann
mußte die zu seinem Handwerk so unentbehrliche Vor- und Umsicht
besitzen. Er blickte herein, um zu sehen, ob das Gespräch vielleicht
hier einen Zeugen gehabt habe. Als er niemand sah, sprang er wieder ab
und entfernte sich.
    Dem Methusalem war das, was er gehört hatte, von großem Interesse.
Ein Gott, also ein Götzenbild, sollte aus dem Tempel gestohlen werden.
Das war, wie der Dieb ganz richtig gesagt hatte, ein Verbrechen, auf
welches das Gesetz die härteste, qualvollste Todesstrafe legte. Und für
welchen Preis wagte der Mann sein Leben? Tausend Li sollten sein Anteil
sein, also ungefähr sechs Mark nach deutschem Geld!
    Degenfeld fragte sich, ob die Sache ihn etwas angehe. Er antwortete
mit ja. Ob ein Götze aus einem der vielen hiesigen Tempel entfernt
würde oder nicht, das konnte ihm sehr gleichgültig sein; aber es
handelte sich darum, daß ein Unschuldiger als schuldig hingestellt
werden sollte. Es war Pflicht, dies zu verhüten. Aber wie? Nun, es lag
sehr nahe, daß der Student sogleich an Tong-tschi, den Mandarin,
dachte. Ihm wollte er erzählen, was er hier erlauscht hatte, und dieser
mochte dann das weitere verfügen.
    Er ging in die Gaststube zurück und erzählte seinen Gefährten das
Begebnis, natürlich mit leiser Stimme, um von den andern Gästen nicht
gehört oder gar verstanden

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