323 - Die Hölle auf Erden
Prinz! Er darf nicht sterben...«
Kaito hörte gar nicht mehr richtig hin, obwohl seine Schwester schwärmerisch weiterplapperte. Schön war es nicht, was er im Lampenschein erspähte. Aber es war zweifellos ein Gesicht . Wobei Kaito nicht unbedingt darauf getippt hätte, es mit einem Menschen zu tun zu haben.
»Was ist das für ein Kerl?«, raunte ihm Yuuto leise zu, während sie begannen, Stein um Stein der Last abzutragen, die den Unglücklichen unter sich begraben hatte.
»Ich weiß es nicht, Bruder. Er sieht seltsam aus. Aber du kennst die Launen der Natur. Sie bringt so manches hervor, was unseren Augen fremd erscheint.«
»Er scheint Schuppen im Gesicht zu haben, und seine Haut ist grünlich-blau«, sagte Yuuto, ohne in seinem Bemühen innezuhalten. »Hat er vielleicht eine seltene Krankheit?«
Kaito schwieg. Er konzentrierte sich ganz auf die Rettungsarbeiten – obwohl er nicht den Eindruck hatte, dass noch etwas zu retten war.
»Vielleicht ist er aussätzig«, murmelte Yuuto weiter. »Er könnte an Lepra leiden!«
Nun gerieten Kaitos Bemühungen doch ins Stocken.
»Hast du Angst?«, fragte Yuuto.
Sein Bruder zögerte. »Lepra ist schrecklich. Und ansteckend.« Er leuchtete noch einmal mit der Lampe, ging ganz dicht an das Gesicht heran – und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe Leprakranke schon gesehen. Das hier erinnert mehr an die Schuppenhaut einer Schlange.«
»Fast könnte man meinen«, wisperte Yuuto noch leiser, damit seine Schwester ihn nicht hörte, »als sei eine von Mahós Fantasien Realität geworden!«
»Was tuschelt ihr? Geht es ihm schlecht? Wird er durchkommen?«, rief Mahó misstrauisch.
Kaito tastete den Hals des Wesens entlang. Hart und kalt war seine Schuppenhaut. Einen Puls suchte er vergeblich. »Ich fürchte«, wandte er sich an seine kleine Schwester, »wir kommen zu spät.«
»Du meinst...«
»Wir müssen ihn ganz ausgraben, um sicherzugehen. Aber bis jetzt gibt es keine Anzeichen, dass er noch atmet oder sein Herz schlägt.«
Mahó schien in sich zusammenzufallen. Das Entsetzen stahl alle Farbe aus ihrem Gesicht. Blass und ängstlich sah sie zu, wie ihre Brüder sämtliche Steine von dem Körper des »Prinzen« entfernten und die Gestalt schließlich mit vereinten Kräften aus der Grube hoben.
Mahó ließ sich nicht davon abhalten, selbst nach Lebenszeichen zu forschen. Aber auch sie konnte keinen Herzschlag mehr feststellen. Tränenüberströmt löste sie sich schließlich von dem Leichnam.
Mit erstickter Stimme flüsterte sie: »Er ist kaum älter als ich, oder? Wer mag er sein? Wie kommt er hierher? Er ist so schön, so wunderschön...«
Die Brüder tauschten betretene Blicke. Sie wussten, dass es keinen Sinn machte, Mahó ihre Wahnvorstellungen auszureden. Sie sah die Welt so, wie sie es wollte. Punktum.
»Wir sollten ihn wieder in die Grube legen und mit Geröll bedecken«, schlug Yuuto vor. »Je weniger Aufsehen wir erregen, desto besser. Wir schaden dem Tempel, wenn sich herumspricht, was wir hier gefunden haben.«
Zu seiner Überraschung widersprach sein älterer Bruder Kaito. »Nein«, sagte er. »Wir bringen ihn zum Tempel, dort wird man weitersehen. Wir können ihn nicht einfach verscharren, das wäre gegen unsere heiligsten Grundsätze. Wie kannst du so etwas auch nur in Betracht ziehen, Bruder?«
Yuuto zog den Kopf zwischen die Schultern, erwiderte aber nichts. »Er ist schwer. Ich bezweifle, dass wir es schaffen, ihn den ganzen Weg zu tragen.«
»Dann lauf zurück zum Tempel und hole Unterstützung. Verständige den Oberen. Er muss ohnehin erfahren, was passiert ist.«
Yuuto schien dankbar zu sein, sich entfernen zu dürfen.
»Hier, nimm die«, sagte Kaito und reichte ihm die Taschenlampe. »Ich warte hier.«
»Und Mahó?«
»Ich kümmere mich um sie, keine Sorgen. Geh jetzt, und beeile dich.«
Er wartete, bis Yuutos Schritte verklungen waren. Eine Weile folgte er noch dem schwachen Schein der Lampe, dann wandte er sich an Mahó: »Hier kannst du nichts mehr tun, imooto . Ich weiß, dass du dich im Dunkeln so gut zurechtfindest wie am hellen Tag. Deshalb sage ich dir – und hör auf deinen großen Bruder –, dass du jetzt heimgehen musst. Leg dich ins Bett. Du kannst uns morgen im Tempel besuchen. Hoffentlich haben unsere Eltern dein Verschwinden noch nicht bemerkt und sorgen sich um dich.«
Sie blickte ihn unschuldsvoll aus großen Augen an. »Du bist lustig, oni-chan . Wirklich, du bist lustig. Warum sollte ich am helllichten Tag
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