323 - Die Hölle auf Erden
seiner beiden Schicksalsgenossen aus dem Dunkel. Als Freundschaft konnte er sein Verhältnis zu Grao’sil’aana beim besten Willen nicht definieren. Zwar unterstützte der Daa’mure ihre Odyssee durch die Zeiten und half, wo er konnte – das aber aus purem Eigennutz. Denn nur gemeinsam konnten sie von dieser Parallelwelt in die nächste gelangen.
Und Xij... war bereits mehr als eine Freundin. Seine Geliebte. Seit sie sich in einer Wikingersiedlung näher gekommen waren. Sehr viel näher, als es bei Freunden üblich war. [1]
In diesem Moment trat Xij neben ihn. Waffenlos wie er selbst. Und zunächst einmal einfach nur froh, den unmittelbaren Gefahren und der Eiseskälte der vorherigen Welt entronnen zu sein.
»Allmählich kommt es mir so vor, als würde jemand mit einem Hammer auf die Erde einschlagen, um unsere Ankunft zu verkünden«, sagte Xij.
Matt grinste. »Du meinst, Thor hat einen Nebenjob?«
»Blödmann!« Sie stieß ihm mit dem Handballen gegen die Schulter, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor.
»He!«, beschwerte er sich, immer wieder überrascht, wie viel Kraft in diesem knabenhaft schlanken Körper steckte. »Pass auf! Es geht ganz schön weit den Hang runter.« Er zeigte in die Richtung, die er meinte.
Grao knurrte.
Zumindest hielt Matt es einen Moment lang für ein Knurren und den Daa’muren für die Quelle des Geräuschs. Das änderte sich aber rasch, als Grao tatsächlich einen warnenden Ruf ausstieß und in die entgegengesetzte Richtung zeigte: hangaufwärts.
Schattenhaft wogte von dort etwas heran.
Mit geweiteten Augen erkannte Matt die Gefahr, deren Geräuschkulisse innerhalb von Sekunden zu ohrenbetäubendem Lärm anstieg.
»Eine Steinlawine!«, keuchte er. »Weg hier!«
Es war eine Ironie des Schicksals. Eben noch auf einem Gletscher und von Schneebrettern bedroht, mussten sie nun vor einer Lawine aus Geröll fliehen, die noch tödlicher war.
Die Steinmassen rasten talwärts – genau auf die drei ungleichen Besucher aus einer anderen Welt zu.
***
Im Laufen blickte Matt hinter sich. Krachend erreichte die steinerne Woge die Stelle, wo Xij, Grao und er eben noch gestanden hatten. Er erkannte es anhand des Baumes, der dort aufragte. Der Stamm wankte unter dem Geröll, das er teilte, aber er fiel nicht.
Ausläufer der Lawine prasselten links und rechts an ihnen vorbei. Matt hob die Arme, um den Kopf vor Splittern zu schützen, die wie Geschosse abgesprengt wurden. Neben ihm schrie Xij auf, offenbar getroffen. Matt glitt neben sie und versuchte sie mit seinem Körper abzuschirmen.
»Schon gut«, wehrte sie ab. »Alles okay.«
Ein paar Atemzüge später war der Lärm verklungen und die Umgebung hatte sich beruhigt.
»Das gottverdammte Beben hat einen Steinschlag ausgelöst«, kommentierte Xij, die sich den Staub von der Kleidung klopfte.
»Dem wir mit knapper Not entgangen sind«, ergänzte Matt. »Ich fürchte, ein anderes Problem wiegt viel schwerer.«
Xij, die unablässig die Umgebung sondierte, stimmte ihm zu: »Grao ist verschwunden. Ich sehe ihn jedenfalls nirgends. Eben war er doch noch bei uns...«
Matt verzichtete der Dringlichkeit wegen auf den Hinweis, dass sich sein Hinweis nicht auf Grao bezogen hatte.
Mit Grao waren es zwei.
Er blickte zu dem Punkt hinüber, wo die Baumkrone aus dem zum Stillstand gekommenen Erdrutsch herausragte. Wenn er vorhin richtig geschätzt hatte, war der Stamm drei bis vier Meter hoch. So viel Gestein hatte sich nun über dem Zeitportal abgelagert.
Xij ließ ihren Blick über das Geröllfeld schweifen. »Denkst du, er wurde verschüttet? Scheiße, das wäre übel!«
»Um Grao mache ich mir eigentlich weniger Sorgen. Der wurde schon einmal lebendig begraben, damals auf einer Insel im Victoriasee, und hat es unverletzt überstanden. Mehr Sorgen macht mir...«
»… dass das Portal unter den Steinmassen liegt!«, erkannte nun auch Xij. »Scheiße hoch zwei!«
Matt nickte grimmig. »Wir werden Tage brauchen, um es wieder auszugraben. Zumal wir nur ungefähr wissen, wo es liegt: irgendwo oberhalb des Baumes.«
Da sie daran momentan nichts ändern konnten, suchten sie erst einmal gemeinsam das Geröllfeld nach Grao ab. Erfolglos. Ebenso blieben ihre Rufe ohne Antwort, mit denen sie die eigene Entdeckung riskierten. Solange sie nicht wussten, wo und wann sie gelandet waren, konnte das schwerwiegende Folgen haben.
»Was ist das?«, fragte Xij irgendwann und zeigte auf ein schwaches Glosen, das aus der Gipfelregion des Berges zu
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