326 - Schlangenmenschen
und durch seine Hand gestorben war. Und wie sie schließlich den Tod seiner Tochter Ann, die er unter Zwang mit Jenny Jensen gezeugt hatte, verschuldet hatte...
Im Endeffekt waren die Tode dieser beiden Kinder schuld daran, dass die Trennung genauso hatte kommen müssen, wie sie gekommen war. Auch wenn der von Daa’tan Notwehr und der von Ann ein furchtbarer Unfall gewesen war, lasteten sie schwer auf ihren Seelen.
Dass Xij hinter ihn getreten war, bemerkte Matthew erst, als sie die Arme um seinen Oberkörper schlang. Hatte sie gespürt, was ihn beschäftigte?
Sie war – körperlich und vom Wesen her – so ganz anders als Aruula. Und wahrscheinlich hatte nur dieser krasse Gegensatz es schaffen können, nach und nach die Verbindungen zu Aruula zu kappen und eigene Wurzeln in seine Seele zu schlagen.
In sein Herz.
Wann genau es begonnen hatte, hätte Matt nicht zu sagen vermocht. Auch dieser Prozess war schleichend vonstattengegangen, anfänglich kaum spürbar. Im Gegenteil: Als sie sich kennen lernten, war Xij in seinen Augen genau das gewesen, als das Aruula sie zuletzt bezeichnet hatte: ein freches Gör, das auf Konventionen pfiff, seinen eigenen Kopf durchsetzte und sogar beiderlei Geschlecht zugetan war.
Aber gerade diese rebellische Art, ihre Pfiffigkeit und die Leichtigkeit, mit der sie durchs Leben tänzelte, hatten ihn fasziniert und interessiert. Und obwohl er sich keinesfalls sicher sein konnte, dass Xij nicht immer noch so unberechenbar war wie zu Anfang, war Matt erleichtert, dass die Würfel nun endlich gefallen und klare Verhältnisse entstanden waren.
»Du hängst noch immer sehr an ihr, was?«, fragte Xij mitfühlend. »So viele gemeinsame Jahre lassen sich nicht einfach –«
Er drehte den Kopf und blickte zu ihr hoch. Sie stand hinter dem Sitz, auf dem er saß. Trotzdem ragte sie nicht viel höher auf als er. Das schmale Gesicht war auf ganz eigene Art ausdrucksvoll, vor allem die Augen und der Mund. Dabei wirkte sie so burschikos, dass sie schon öfters mit einem Jungen verwechselt worden war. Wie fraulich war im Gegensatz dazu...
Hör auf damit! Matt zwang sich, keine Vergleiche mit der Frau zu ziehen, die ihn gerade noch beschäftigt hatte. Laut sagte er: »Ich will nicht darüber sprechen. Nicht mehr. Es ist alles gesagt.«
Xij vereinte die Weisheit vieler Leben in sich. Und da sie die sowohl in weiblichen als auch in männlichen Inkarnationen verbracht hatte – einmal sogar als Zwitter –, waren ihr beide geschlechterspezifischen Denkweisen vertraut. Offenbar veranlasste sie dies, seine Bitte zu respektieren.
»Natürlich. Verstehe.« Ihr Lächeln wirkte weder aufgesetzt noch in irgendeiner Weise triumphal, weil sie sich gegen die Rivalin durchgesetzt hatte.
Das hatte sie ja nicht. Nicht aktiv zumindest. Matt war überzeugt, dass die Entscheidung ganz allein in ihm gereift war. Aber natürlich hatte er alles in die Waagschale geworfen, was ihn letztlich zu Xij hatte tendieren lassen. Genauso, wie er versucht hatte, Aruula gerecht zu werden.
»Komm«, sagte Xij und zog ihn leicht am Arm. »Miki schafft das auch ein Weilchen ohne uns. Miki?«
Sie blickte zu dem Androiden, der sich völlig aus ihrem »Privatkram«, wie er es einmal genannt hatte, heraushielt.
»Klar«, sagte er. Seine Stimme quäkte offenbar absichtlich wie eine Lautsprecherdurchsage. »Takeo Airlines wünscht Ihnen einen guten Flug in der Relaxzone. Sie werden rechtzeitig informiert, sobald wir im Zielanflug sind.«
Matt stemmte sich aus seinem Sitz hoch. »Okay, es spricht nichts gegen eine kleine Auszeit. Er wandte sich an Miki. »Du rufst uns doch, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert?«
»Natürlich.«
Xij verhinderte ein Ausufern der Unterhaltung, indem sie Matt einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte, bevor sie ihn mit sich zog. Der dazugehörige Blick verwandelte ihn in ein Versprechen.
***
Das Ziel war klar – insbesondere, da es auf den von Miki Takeo selbst ermittelten Ortungsdaten beruhte. Das ehemalige Französisch-Guayana, nordwestlich an Venezuela angrenzend, im Süden an Brasilien...
Allesamt Namen, die in Miki Takeos Speicherbank hinterlegt waren, aber in der Zeit, in der sie lebten, nur noch von untergeordnetem Rang waren. Denn mehr noch als das topographische Gesicht der Erde hatte sich das soziologische geändert. Die Staaten, von denen in den antiquarischen Datensätzen die Rede war, existierten längst nicht mehr, von ihren einst so zahlreichen Bevölkerungen gab es nur noch
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