326 - Schlangenmenschen
»Trotzdem mahne ich zur Vorsicht. Wir sind unangemeldet hier. Ich wette, dass die Leutchen nicht mal gemerkt haben, dass du und Miki vor dem Kometen rumgegondelt seid.«
Das konnte Matt nur bestätigen: Fast wäre die AKINA ein Opfer der Rakete geworden; erst im letzten Moment war das marsianische Raumschiff automatisch dem heranrasenden Flugkörper ausgewichen. [3]
»Dass so unmittelbar nach der Verwüstung des Mondes ein unbekanntes Flugobjekt über ihrem Hoheitsgebiet auftaucht« fuhr Xij fort, »muss den Leuten hier doch suspekt vorkommen – oder täusche ich mich so sehr in meiner hausfrauenpsychologischen Einschätzung?«
»Hausfrauenpsycho– was?« Matt lachte. »Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Und ja: Du hast recht. Wir sollten vorsichtig sein. Aber wenn ich nicht irre, unterfliegen wir gegenwärtig deren Radar – sofern sie über eins verfügen. Sie sehen uns also nicht kommen. Und ich hatte natürlich auch nicht vor, einfach unangemeldet da reinzuschneien.« Er wandte sich abermals an Miki. »Versuch mal, Funkkontakt herzustellen. Die üblichen Grußfloskeln, in Englisch und Französisch. Das müsste sie neugierig machen.«
Dazu kam es aber nicht mehr. Denn bevor Miki Takeo eine erste »Friedensbotschaft« absetzen konnte, wurden die Bilder der hochauflösenden Nachtsichtkamera so deutlich, dass man mehr darauf erkennen konnte.
Sie zeigten, dass es schwierig werden könnte, zum jetzigen Zeitpunkt ihre friedlichen Absichten glaubhaft zu machen.
»Warte noch!«, stoppte Matt den Androiden.
»Was geht da vor?«, ächzte Xij. »Wird da... gekämpft?«
»Ich würde es so interpretieren«, erwiderte Takeo lakonisch. »Sieht nach einem Feuergefecht aus – unmittelbar an den Grenzen des Komplexes, bei dem es sich offenbar um den einstigen Raumhafen Kourou handelt.«
Matt starrte auf den Bildschirm, und sein erster Gedanke war: Warum zum Teufel kann eine Kontaktaufnahme nicht einmal in normalen Bahnen verlaufen?
Die Antwort würden andere geben müssen.
Aber welche der beiden Parteien, die sich dort unten mit Feuerwaffen beharkten, waren die »Guten«? Um das herauszufinden, mussten sie näher heran.
***
»Durchhalten!«, keuchte Morte. »Gleich haben wir’s geschafft!« Er wusste nicht, wer ihn hörte. Niemand antwortete. Selbst Dufour stand der Sinn nicht nach Konversation. Der Serschoonrammte gerade ein neues – vielleicht das letzte – Ersatzmagazin in seine heiß geschossene Maschinenpistole. Die Narben auf seinem Gesicht traten noch schärfer hervor.
Von der BASTILLE, deren rettender Zaun bei scharfem Sprint allenfalls eine halbe Minute entfernt war, bohrten sich turmdicke Scheinwerferbahnen in die Dunkelheit des umgebenden Geländes. Sie erfassten sowohl die verzweifelt um sich schießenden Leschoneers als auch die unbekannten Angreifer, die wie primitive Waldbewohner bemalt und bekleidet waren, deren Bewaffnung – und vor allem ihr Umgang mit den modernen Feuerwaffen – diesen Eindruck aber Hohn sprach.
Wer waren diese Wilden und was wollten sie? Was trieb sie dazu, einen Angriff gegen die BASTILLE zu führen? Glaubten sie im Ernst, damit Erfolg zu haben? Sie mochten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite und Mortes Trupp deshalb in die Bredouille gebracht haben – aber gegen die Verteidigungssysteme der BASTILLE hatten sie nicht den Hauch einer Chance. Ihr Größenwahn würde bestraft werden.
Nur werde ich es vielleicht nicht mehr erleben, dachte Morte. Warum schickte der Comm’deur keine Unterstützung? Morte wusste, dass selbst nach Abzug der auf Patrouille befindlichen Kräfte noch mindestens fünfzig wehrfähige Leschoneers in der BASTILLE sein mussten, darunter etwa die Hälfte Veteranen. Und gerade die wussten sich ihrer Haut zu wehren und kannten ihre Pflicht einem Kameraden gegenüber! Warum also zögerte der Comm’deur?
Albert Morte verfluchte im Stillen den Mann, dessen Wort in der BASTILLE Gesetz war. Weil dieses Fiasko schon seit Jahren abzusehen gewesen war: Benedict Serpon war alt. Zu alt für das Amt, das er nun schon länger innehatte als jeder seiner Vorgänger. Und an dem er klebte wie ein blutdurstiger Mustikk an einer Harzfalle.
Morte feuerte eine Salve in Richtung der Verfolger, die ihnen dicht auf den Fersen waren. Die Wilden stießen kein Geheul aus, sondern bewegten sich in gespenstischer Lautlosigkeit – zu der das Krachen und Rattern ihrer Waffen in einem kaum erträglichen Kontrast stand.
Obwohl Morte sicher war, dass die eine oder
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