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33 - Am Stillen Ozean

33 - Am Stillen Ozean

Titel: 33 - Am Stillen Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Vater?“
    „Ich habe keinen Vater mehr, sondern nur eine Mutter.“
    Ich war beruhigt, denn es stand zu erwarten, daß weder der Phy noch der Kiang-lu erfahren würde, daß ich den Pavillon gesehen habe.
    Vor uns schnitten drei enge Schluchten in die Berge ein. Der Knabe führte mich auf die mittlere zu. Nachdem wir eine Strecke in ihr emporgestiegen waren, deutete er nach oben.
    „Schau da empor. Das ist der Fels, der wie ein Pavillon aussieht; aber du kannst nicht ganz empor.“
    Im Hintergrund der Schlucht stieg eine Bergkante ziemlich steil an, doch war sie für einen geübten Berggänger immer noch ziemlich gut ersteigbar. Sie wurde von einem großen, kubischen Felsblock gekrönt, an dessen Wänden Jahre und Witterung so gearbeitet hatten, daß er beinahe das Aussehen eines chinesischen Gartenpavillon hatte.
    „Wenn ich nicht hinauf kann, muß ich allerdings wieder umkehren“, meinte ich vorsichtig. „Auch du kannst gehen.“
    Ich gab ihm von meiner Schnur zwanzig Sapeken, also ungefähr sieben Pfennige. Das aber war ein solcher Reichtum für den Waisenknaben, daß er vor Erstaunen beinahe starr wurde. Dann aber warf er sich nieder, küßte den Saum meines Gewandes, sprang wieder auf und eilte davon.
    Ich folgte der Schlucht weiter und gelangte nach einer Viertelstunde mühevollen Steigens auf der Kante an. Auf der andern Seite derselben gähnte ein tiefer Abgrund, rechts und links von hohen Felsen eingeschlossen, die sich zu keinem Ausgang zu erweitern schienen. Es war ein tiefes, schauerliches Loch, welches wohl schon viele Opfer der Drachenmänner verschlungen hatte.
    Ich besah den Pavillon von allen Seiten und fand endlich neben einer säulenartigen Anschwellung des Felsens in doppelter Manneshöhe zwei Haken, die ganz das Aussehen und die Entfernung voneinander hatten, als ob sie angebracht seien, um einer Leiter als Anlege- und Haltepunkt zu dienen.
    Wenn das wirklich der Fall war, so war diese Leiter ganz sicher in der Nähe zu finden. Ich suchte – lange Zeit vergebens, endlich aber war ich doch so glücklich, sie zu finden. Sie war aus Bambus gefertigt und so konstruiert, daß sie zusammengeklappt werden konnte, und lag unter einem Haufen von Steinen und Geröll versteckt.
    Es war am hellen Tag, und ich konnte also, wenn zufälligerweise jemand die Schlucht betrat, leicht bemerkt werden. Das konnte mich aber nicht abhalten. Unmittelbar über den Haken hatte der Fels einen Absatz, einen breiten Sims, auf welchem man leicht zu stehen vermochte, und weiter oben, wieder in doppelter Manneshöhe, bemerkte ich noch zwei Haken. Ich legte die Leiter an und stieg empor. Auf dem Sims angekommen, zog ich sie nach und legte sie von neuem an. Jetzt kam ich auf das platte Dach des Pavillons und bemerkte, daß derselbe ausgehöhlt sei. Ein brunnenähnliches Loch, etwas über zwei Ellen im Durchmesser, führte hinab.
    Wie tief mochte es wohl sein? Ich ließ einen Stein hinabgleiten und horchte. Statt des erwarteten Aufschlages aber tönte ein lauter, menschlicher Schrei empor.
    „Kommst du schon wieder?“ klang es dumpf herauf. „Ich bin noch nicht tot, aber ich sterbe.“
    „Wer ist da unten?“ rief ich hinab.
    Meine Worte konnten unten natürlich nicht so gut verstanden werden.
    „Nein“, antwortete es. „Ich fluche deinem Fo und deinem Buddha; ich will lieber verhungern, als meinem Tien tschu untreu werden. Ich bete ‚Tsei thian agoteng fu tsche, ago-teng yuan örl ming kian-schiny!‘ und er ist mächtig; er wird mich erretten, wenn es ihm gefällt!“
    Ich rief zum zweiten und dritten Mal hinab, aber es ertönte keine Antwort. Die Gefangene – denn es war eine weibliche Stimme, welche ich vernommen hatte – hatte mit ihren Worten wohl ihre letzten Kräfte erschöpft.
    Was war zu tun? Ich mußte sie retten; aber konnte ich jetzt? Das Loch mußte wohl gegen zwanzig Ellen tief sein. Ursprünglich mochte es der Regen ausgebohrt haben; später hatten vielleicht menschliche Hände nachgeholfen.
    Dieses Loch war auch für uns bestimmt. Wie war es unten beschaffen? Ich wickelte mein Messer in mein Taschentuch und warf es hinab. Die Gefangene hatte sich wohl von der Öffnung zurückgezogen, denn es ertönte dieses Mal kein Laut. Sie war entweder abgemattet oder so resigniert, daß sie nicht sprechen wollte.
    Ich konnte also nicht eher etwas tun, als bis der Abend hereingebrochen war, stieg also wieder abwärts und verbarg die Leiter an demselben Ort, an welchem ich sie gefunden hatte. Dann stieg ich

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