33 - Am Stillen Ozean
Natur redet mit meiner Seele; das Gefühl besiegt mich, und erst die Zeit der Mitternacht bringt mich zu meiner Wohnung zurück.
Zuweilen kommen Freunde, um meine Einsamkeit zu unterbrechen. Sie lesen mir ihre Arbeiten vor oder hören die meinigen an. Sie beteiligen sich an meinen Erholungen. Unser frugales Mahl wird erheitert vom Weine und gewürzt von der Philosophie. Am Hofe werden die Leidenschaften erregt; man verleumdet dort einander, schmiedet Waffen und legt Schlingen. Wir dagegen verkehren mit der Weisheit und weihen ihr unsere Herzen. Mein Auge ist ihr immer zugewandt, leider aber werden ihre Strahlen durch zu vieles Gewölk getrübt.
Wenn ein Sturm diese Wolken verjagt, dann wird die Einsamkeit für mich ein Tempel des Glückes werden. Doch was rede ich! Ich habe ja als Vater, Gatte, Untertan und Mann der Wissenschaft tausend Pflichten, und mein Leben ist nicht mein alleiniges Eigentum. Lebe wohl, lieber Garten, lebe wohl! Die Liebe zu den Meinen und zum Vaterland ruft mich nach der Stadt zurück. Deine Reize mögen dir treu bleiben, um mir die Sorgen zu verscheuchen und meine Tugend zu bewahren!“ –
Als ich hiermit fertig war, kehrte ich nach meinen Zimmern zurück. Eben wollte ich eintreten, als sich mir gegenüber eine Tür öffnete und der Kapitän aus derselben trat.
„Charley!“ winkte er geheimnisvoll.
„Schon wieder Charley!“
„Schön, alter Fu-kung-bu-kung-zu-kung! Aber sagt einmal, wollen wir ihn fangen?“
„Wen?“
„Diesen Mongolen.“
„Welchen Mongolen?“
„Nun, diesen Dschi – Dscha –, der uns im Götzentempel gefangen hielt!“
„Den Dschiahur?“
„Ja, so heißt der Kerl!“
„Ist er da? Wo ist er?“
„Ich hatte mein Licht ausgelöscht und hielt noch ein wenig Ausguck nach der Stadt hinüber. Da kam er; ich kannte ihn genau. Er ging um die Ecke herum, nach dem Garten zu. Hier habe ich den Revolver; soll ich den Räuber über den Haufen schießen?“
„Wartet noch ein wenig, bis ich Euch abhole!“
„Was wollt Ihr noch vorher tun?“
„Rekognoszieren.“
„Well! Hier sind wir am Land, wo Ihr mehr zu Hause seid, als ich es bin. Und im Schleichen seid Ihr ja ein Hauptkerl.“
„Stellt Euch an das Fenster und paßt auf, ob er zurückkommt!“
„Wird besorgt, Master King-fu-kang-fi-kung-fe!“
Er trat in seine Wohnung zurück. Ich verließ den Korridor und stieg die Treppe hinab. Der Ausgang war verschlossen. Ich öffnete ein Fenster, welches im Dunkeln lag, und stieg hinaus. Ich hatte den Kapitän nicht mitnehmen können, denn er war für dergleichen Affären zu ungeübt.
Wohin sollte ich mich jetzt wenden? Der Park war so groß und umfangreich, daß sich eine halbe Kompanie Soldaten darin zu verbergen vermochte, ohne entdeckt zu werden. Ich konnte beim Suchen selbst bemerkt werden. Wenn der Mann wirklich nach dem Garten gegangen war, so verließ er ihn vermutlich an demselben Ort, an welchem er ihn betreten hatte. Ich schwang mich hinaus, um diesen Ort zu suchen.
Der Schein des Mondes fiel hell auf diese Seite der Mauer, und ich hatte es hier nicht mit einem Indianer zu tun, welcher gewohnt ist, keine Spuren zurückzulassen. Die Spuren eines großen, weichsohligen Stiefels waren ziemlich deutlich zu erkennen und führten nach einem Punkt der Mauer, wo auf der inneren Seite derselben ein Bambusgesträuch stand. Hier war er übergestiegen.
Ich kehrte zurück und schwang mich im Schatten des Gebäudes wieder hinüber. Nun pirschte ich mich unter Anwendung aller Vorsicht bis hin zu dem Bambusgebüsch; er war nicht da, sondern jedenfalls weiter in den Garten vorgedrungen. Ich legte mich auf die Lauer, und zwar so, daß ich nicht bemerkt werden konnte.
Lange hatte ich hier gewartet, als sich endlich meine Voraussetzung als richtig erwies: ich hörte Schritte, aber nicht von einem Mann, sondern von zweien. Sie kamen herbei und blieben hart vor mir stehen. Der eine war der Phy, der andere hatte ganz die Länge und Breite des Dschiahur, war aber ein anderer. Von weitem und besonders nachts waren beide leicht zu verwechseln.
„Wird es dir gelingen?“ fragte der andere.
„Ich hoffe es.“
„Schreib ihm noch heute nacht das Dekret. Wenn es dir nicht gelingt, muß Kong-ni meine Tochter heiraten. Ein Sohn von dir muß mein Eidam werden, sonst bist du verloren.“
„Also dir ist es gleich, ob Kong-ni oder dieser?“
„Ganz gleich. Du hattest nur den einen Sohn, darum konnte ich nur ihn verlangen. Er kam auf die Idee, dir einen zweiten Sohn
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