33 - Am Stillen Ozean
wollten.
„Habe keine Sorge, wir holen dich!“ beruhigte ich sie.
Die Rücken fest gegeneinander stemmend, krochen wir in die Höhe. Man hatte uns die Waffen genommen, aber ich besaß mein Messer wieder. Wir kamen rascher hinauf, als ich's dem Kapitän zugetraut hätte.
„Jetzt so leise wie möglich!“ bemerkte ich, als wir nur noch drei Fuß bis zum Freien hatten.
Geräuschlos erreichten wir den Rand. Der Kiang-lu stand ganz allein noch oben auf der Plattform. In stolzer, aufrechter Haltung stand er, mit dem Rücken gegen uns, und betrachtete die jenseits des Abgrundes gelegene helle Mondscheinlandschaft.
„Hinunter mit ihm!“ flüsterte der Kapitän.
„Nein, das wäre hinterlistiger Mord. Hier liegt noch das Seil. Wir binden ihn und schaffen ihn hinunter, nachdem wir sein Weib heraufgeholt haben. Dann machen wir Anzeige.“
„Sein Weib? War es sein Weib!“
„Allerdings.“
„Hört, Charley, der Kerl verdient mehr als die Anzeige, denn man wird ihn vielleicht gar laufenlassen. Wir sind ja Ausländer. Diesen Menschen sollte man –“
Er stampfte in unvorsichtigem Zorn mit dem Fuß; der Kiang-lu fuhr herum und erblickte uns.
„Wer – – –?“
Das Wort blieb ihm vor Erstaunen und Schreck im Mund stecken.
„Habe ich dir nicht gesagt, daß ich dich bestrafen werde?“ antwortete ich.
„Wie kommt ihr herauf? Seid ihr Geister oder Menschen?“
„Menschen, aber bessere Menschen und klügere als du. Gibst du dich gefangen?“
Statt der Antwort legte er die Hände an den Mund und stieß einen gellenden Ruf aus. Ein mehrstimmiger Schrei antwortete aus der Tiefe.
„Gefangen?“ rief er jetzt. „Ihr seid noch ebenso verloren wie vorher. Hört ihr, daß sie zurückkehren?“
Jetzt galt es allerdings, zu handeln.
„Bis sie kommen, bist du mein!“
Mit diesen Worten trat ich auf ihn zu. Er stand am Rand der Plattform; dorthin durfte er den Kampf nicht kommen lassen; deshalb sprang er mir mit einem gewaltigen Satz entgegen. Er rannte mit der Brust gegen meine vorgestreckten Fäuste und taumelte zurück. In diesem Augenblick holte Turnerstick aus und versetzte ihm mit seiner eisernen Faust vor den Kopf einen Schlag, der ihn noch mehr aus dem Gleichgewicht brachte – ein gellender, gräßlicher Schrei, und er stürzte rückwärts über die Felsenkante hinunter in den Abgrund.
Wir horchten atemlos. Ein dumpfer Ton drang empor – der Körper des gefürchteten Strompiraten war unten aufgeschlagen und sicherlich zerschellt.
„Charley!“
„Käpt'n!“
„Er ist hinunter!“
Der Kapitän war so erschrocken, als hätte er die schrecklichste Tat begangen.
„Ja, hinunter zu seinen Opfern, wo er hingehört. Macht Euch kein Gewissen daraus, Käpt'n! Erstens habt Ihr ihn nicht mit Absicht hinuntergeschlagen, und zweitens hat er den Tod schon oft verdient.“
„Well, das ist richtig; aber ich hatte doch vorher die Absicht, ihn hinunterzuwerfen, und sodann ist es ein eigentümliches Gefühl, einen Menschen – brrr!“
„Seid vernünftig, und denkt daran, daß die Notwehr durch das göttliche und menschliche Gesetz gestattet ist. Wir wollen lieber auf die Gegenwart achten. Seht, da unten stehen die sechs mit dem Dschiahur. Sie können nicht herauf, weil sich der Kiang-lu die Leiter wieder emporgezogen hatte.“
„Nun sind wir blockiert und belagert!“
„Tut nichts! Wir wollen vor allen Dingen die Frau herausschaffen.“
„Wie bringen wir dies fertig?“
„Sehr leicht. Ich lasse Euch hinunter. Ihr bindet ihr den Strick unter den Armen um den Leib, aber so, daß sie atmen kann. Dann ziehe ich erst sie und nachher Euch herauf.“
„Das geht – come on!“
Der Strick war fest. Wir konnten ihm vertrauen. In einigen Minuten war es getan, und die vor Hunger und Durst abgemattete Frau lag oben auf der Plattform.
„Wer seid ihr?“ fragte sie uns.
„Wir sind Christen wie du.“
„Wo ist mein Mann?“
„Er ist nicht hier; er ist auch nicht daheim; er ist weit fort, und du wirst ihn sehr lange Zeit nicht wiedersehen.“
Die Luft wirkte so auf sie, daß sie in Ohnmacht fiel.
Jetzt konnten wir unsere Aufmerksamkeit ganz auf unsere Belagerer richten. Sie waren sich unklar über das, was der Schrei bedeutet hatte, denn die Plattform war so breit, daß sie uns nicht sehen konnten.
„Kiang!“ tönte die Stimme des Dschiahur von unten herauf.
„Lu!“ antwortete ich hinab.
„Was willst du, Herr?“
Es war klar, daß er mich für den Kiang-lu hielt. Ich versuchte meine
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