33 - Am Stillen Ozean
ein Tien-tschu-kiao. Verbietet dir dein Glaube, hier einen zweiten Vater zu haben, solange du in Tai-tsing-kun bist?“
„Nein.“
„So tue, was ich dir vorschlage, denn dann wirst du ein Tschin-dse und kannst gehen und reisen, wohin es dir gefällt!“
Das Anerbieten, welches er mir machte, konnte nicht vorteilhafter sein. Wie mancher, der sein Leben an die Erforschung Chinas gewagt hatte, wäre glücklich gewesen, einen solchen Vorschlag hören zu dürfen; aber er war mir unbegreiflich, ich möchte sogar sagen, ungeheuerlich, so daß ich beinahe Lust hatte, ihn zurückzuweisen. Dennoch meinte ich nach einigem Überlegen:
„Wird ein Diener des Fo oder Buddha einen Kiao-yu zum Sohn nehmen?“
„Ja. Warum sollte er nicht können oder nicht wollen? Euer Gott sagte: ‚Ich bin nur der Eurige‘, unser Tien-wen aber lehrt uns, daß es einen Vater gibt, und wir alle sind seine Kinder. Es gibt drei große Religionen: die unsrige, die eurige und diejenige der Hoei-hoei. Sie haben Li-pai-sse und sagen: ‚Unsere Religion ist die beste‘; ihr habt Ting-sin-lo und sagt: ‚Unser Gott ist der einzige‘, und wir haben Pagoden und Tempel und sagen: San-kiao-y-kiao, die drei Religionen sind nur eine. Warum solltest du also nicht der Sohn eines Mannes werden, der deinen Glauben ebenso sehr schätzt wie du den seinigen?“
Es hätte keinen Zweck gehabt, mich in diesem Augenblick mit ihm in einen religiösen Disput einzulassen. Seine Worte klangen außerordentlich tolerant und bestechlich, aber sie zeigten mir das Haupthindernis, welches in China der christlichen Mission entgegengebracht wird – die Gleichgültigkeit. Den Worten ‚San-kiao-y-kiao‘ begegnet man allüberall im großen Reich der Mitte, aber dieser Ausspruch: ‚Die drei Religionen sind nur eine‘, ist nicht etwa das Ergebnis eines eingehenden Studiums oder einer Vergleichung der betreffenden Dogmen, sondern das Produkt einer religiösen Gleichgültigkeit, wie man sie kaum sonst irgendwo zu finden vermag. Die christliche Propaganda hat ihren Weg rund um die Erde beinahe vollendet; das islamitische ‚Allah il allah, Muhammed rahsul allah‘ wurde den Horden wilder asiatischer Eroberer vorangetragen; das berühmte ‚Omm, mani padme hum!‘ aber kennt nicht die Aufgabe unseres gewaltigen ‚Gehet hin in alle Welt!‘ Nicht aus Rücksichten der Religion, sondern aus politischen Gründen wurde China den andern Nationen verschlossen; die Religion läßt den Chinesen vollständig kalt, und wenn man ihm einen noch so langen und eindringlichen Vortrag über die Herrlichkeit der christlichen Lehre hält, so hört er geduldig und scheinbar höchst aufmerksam zu, wie es ja die bekannte chinesische Höflichkeit erfordert, und meint dann sehr freundlich: „Das ist gut, das ist schön, und ich lobe dich, daß du das alles glaubst; warum sollte ich mich also mit dir streiten? Deine Religion ist gut, die Religion der Hoei-hoei ist gut, und die meinige ist auch gut; San-kiao-y-kiao, die drei Religionen sind ja eine, und wir alle sind Brüder!“ Nach diesen Worten würde es eine große Verletzung des Anstandes sein, wenn man den Gegenstand noch einmal aufnehmen wollte, und tut man es dennoch, so lächelt er überlegen und entgegnet: „Du hast wohl noch nie das Li-king gelesen, ‚das Buch der Anweisung zum Benehmen für alle Klassen, an allen Orten und bei allen Gelegenheiten und in allen Erfahrungen des Lebens?‘ Komm zu mir, und hole es dir! Oder soll ich es dir lieber schicken?“
Diese Passivität ist schwerer zu besiegen als selbst ein aktiver Widerstand, wie jeder erfahrene chinesische Missionar bestätigen wird. Ich war nicht als ein solcher nach Hongkong gekommen und daher durfte ich mir wohl erlauben, von einem religiösen Streit mit Kong-ni abzusehen. Ich antwortete deshalb:
„Und dieser Mann ist ein Fu-yuen?“
„Ein Fu-yuen“, nickte er.
„Also einer der höchsten Beamten des Landes!“
„Er ist ein Kuang-fu (Mandarin) mit dem roten Knopf. Er ist sehr mächtig, aber bereits sehr alt. Der Hoang-schan hat ihm die Erlaubnis gegeben, zwei Pfauenfedern zu tragen und von seinem Amt auszuruhen.“
Also ein pensionierter Beamter! Einflußreich aber mußte er sein, da er ein Mandarin des ersten Ranges war und zwei Pfauenfedern tragen durfte, während nur die vornehmsten Ko-lao deren drei, die Ta-hia-su deren gewöhnlich aber nur eine tragen dürfen.
„Hat er keinen Sohn?“ erkundigte ich mich weiter.
„Er hat einen.“
„Aber darf er denn nach
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