330 - Fremdwelt
nicht. Und wenn er genug geraucht hatte, sah er den Unterschied sowie nicht mehr. Oder kaum noch. Er zuckte mit den Schultern. »Hab noch nie einen Roboter gesehen. Fahren wir weiter.«
»Da hört ihr’s!« Trashcan Kid versuchte, seine Stimme triumphierend klingen zu lassen. »Weiter geht’s!« Er kniete vor seinem Trike nieder und packte die Kurbel, um den Motor anzuwerfen.
»Verzeihung, Sir.« Kühl schnitt die Stimme der Soldatenwitwe in das Prasseln des Regens. »Kann es sein, dass die allgemeine Verzerrung in dieser Region mittlerweile auch Ihre Wahrnehmungsfähigkeit erreicht hat?« Lady Captain schritt zu Trashies Maschine und machte es sich auf seinem Fahrersitz bequem. »Zur Erinnerung und weil Sie es sind, ganz langsam zum Mitschreiben: Vier von uns sind strikt gegen die Fortsetzung der Fahrt, zwei haben sich zumindest nicht dafür ausgesprochen. Macht sechs. Nur zwei wollen weiterfahren. Was folgt daraus? Dass wir selbstverständlich umkehren.«
Brainless Kid gefiel es, wie Lady Captain redete. Er hätte ihr stundenlang zuhören können, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Trashcan Kid schien das ganz anders zu gehen: Er stieß einen Fluch aus, schleuderte die Kurbel auf den Boden und trat darauf herum. Als er fertig war mit Fluchen und Herumtrampeln, warf er sich auf den Beifahrersitz seines Trikes und seufzte tief. Ziemlich erschöpft sah jetzt aus, ungefähr so, wie einer aussehen musste, damit der Name »Blondhemdchen« auf ihn passte.
»Also gut«, sagte er. »Machen wir erst einmal eine Rast, eine längere von mir aus. Bauen wir Hütten, am besten über den Maschinen. Schlafen wir erst einmal über alles und reden dann morgen in Ruhe weiter. Einverstanden?« Er blickte in die Runde. Alle nickten.
Sie schoben die Maschinen ein Stück vom Weg fort und in den Wald hinein, so wie sie immer getan hatten, wenn sie ein Nachtlager aufschlugen. Anschließend hieben sie Äste und kleine Stämme ab und errichteten über jedem Trike eine Art Unterstand. Darin war es zwar nicht wirklich trocken, doch wenigstens wurde es nicht noch nasser.
Brainless Kid brauchte nur zwei Versuche, um sein Abendpfeifchen zum Brennen zu bringen. Er tat ein paar tiefe Züge und kam seit langem mal wieder richtig gut drauf. Als es dunkel wurde, wickelte er sich in seinen feuchten Mantel. Weil Trashcan Kid neben ihm auf dem Fahrersitz schon zu schlafen schien, wagte er es und zog Paul aus der Innentasche.
»Kann sein, wir kehren morgen um, Paul, was meinst du dazu?« Brainless Kid zog an der Kordel.
»Ich fühl mich munter wie ein Fisch im Wasser«, schnarrte es aus Pauls Bauch.
»Ich nich …«, brummte Trashcan Kid im Schlaf.
Brainless Kid lächelte zufrieden, drückte Paul an seine Brust und schlief ein wenig. Im Traum verfolgte ihn jemand durch die Straßen von Waashton. Paddy O’Hara. Wie ein Skelett sah der aus. Zum Glück wachte Brainless Kid auf, bevor Paddy ihn erwischte. Er fühlte sich aufgekratzt, zu aufgekratzt, um weiterzuschlafen. Also stopfte er sich ein Mitternachtspfeifchen.
Während er rauchte, fiel ihm auf, dass kein Regen mehr auf das Blätterdach trommelte. Er streckte den Kopf zum Unterstand hinaus, spähte in die Dunkelheit. Glühwürmchen tanzten zwischen den Büschen. Blaue Glühwürmchen. Schön. Er betrachtete sie ganz genau.
Zwei Glühwürmchen. Ein Paartanz also.
Oder Moment mal – waren das nicht Augen? Na klar – ein Augenpaar leuchtete zwischen den Büschen!
Vogelaugen. Blaue leuchtende Vogelaugen. Wie ein Geier sah der Vogel aus. Lustig irgendwie.
Es kam schon manchmal vor, dass Brainless Kid Dinge sah, die sonst keiner sehen konnte, wenn er Kiff rauchte. Aber so nah? Und so deutlich? Und dann gleich einen Geier!
Er stieg aus Beifahrersitz und Unterstand, streckte die Rechte mit dem Teddy aus und fragte: »Siehst du, was ich sehe, Paul? Die blau leuchtenden Vogelaugen?« Paul antwortete zwar nicht, doch Brainless Kid antwortete an seiner Stelle: »Klar siehst du’s. Schön, oder?« Die leuchtenden Vogelaugen entfernten sich.
»Gib Ruhe«, knurrte Trashcan Kid im Schlaf.
Am Nachthimmel riss die Wolkendecke auf, Mondlicht sickerte durch das Dschungeldach bis zum Waldboden hinab. Brainless Kid sah seinem Teddy ins grinsende Gesicht. »Gib Ruhe, Paul«, flüsterte er und legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Psst.«
Dann folgte er den Geieraugen in den Urwald.
***
Frühling 2528
Matthew Drax fasste in die schroffe Uferwand, hörte zugleich einen spitzen Schreckensschrei.
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