330 - Fremdwelt
sich die Fellhosen runter!« Xij wirkte nun doch wieder neugierig. »Ich glaub’s ja nicht – sie pinkeln in den Bach!«
»Falsch«, sagte Matt. »Sie versuchen, über den Bach hinweg das andere Ufer zu erreichen. Ein Pinkelwettbewerb – hast du so etwas als Kind nie gemacht … in einer deiner männlichen Reinkarnationen?«
Xij blieb eine Antwort schuldig. »Ich glaub’s ja nicht«, sagte sie stattdessen angewidert.
»Sie benehmen sich wie Kinder.« Matt schüttelte den Kopf. »Wie schon vermutet: Die Verzerrung hat ihren Verstand reduziert.«
»Wenigstens haben sie Spaß bei dem ganzen Unsinn.«
»Warten wir’s ab.« Matt schielte zu Schiefhals Workel – und begegnete seinem lauernden Blick. »Für einen hat der Spaß vorhin ja ziemlich schnell aufgehört.«
Auch andere Indios beobachteten ihn und Xij. Doppelt sinnlos, jetzt einen Fluchtversuch zu starten. Außerdem wollte er seine Laserpistole wiederhaben, und die hatte sich Workel an einer Kordel um den Hals gehängt.
Noch hatte Xij recht – die Indios hatten Spaß: Sie feuerten ihre Kandidaten an, lachten und klatschten. Als es vorbei war und die Pinkler sich die Hosen wieder hochzogen, brach erneut hemmungsloser Jubel aus. Wieder »befragte« der Chef seinen Teddy, ohne dass Matt aus der Entfernung den Wortlaut hören konnte. Und diesmal gab es keine Siegerehrung oder Verliererbestrafung; Matthew atmete auf.
Die Menge strebte nun am Bachufer entlang zur Schlucht, in welcher der Strom dem Wasserfall entgegen floss. An der Stelle, wo sich der Bachlauf durch eine etwa fünf Meter breite und vier Meter tiefe Felsspalte über einen kleinen Wasserfall in den Fluss ergoss, machte die verspielte Horde erneut halt. Alte und hohe Bäume wuchsen hier dicht an der Schlucht; Lianen hingen aus ihren verzerrten Kronen weit herab bis ins Gras.
Der größte der Bäume stand zugleich der Felsspalte am nächsten. Sein Laubdach ragte teilweise über das Ufer hinaus bis zur Mitte des Baches. Um diesen Baum herum drängten sich jetzt die Mannschaften der Indios.
Matt betrachtete die vielen langen Lianen, betrachtete die Felsspalte, und ein unschöner Verdacht beschlich ihn. Ehe er sich versah, schlug Schiefhals Workel ihm die Pranke auf den Rücken und schob ihn aus der Gruppe unter den Baum, wo schon die Kandidaten der anderen sechs Gruppen die Lianen prüften. »Maddrax, Springer«, tönte Workel, »unser Springer Maddrax!«
Matt stand zunächst wie festgewachsen. Er blickte sich um. Xij hatte den Kopf gesenkt und drückte die Stirn gegen ihren Kampfstab; sonst sah er nur lauter erwartungsvolle Gesichter unter den Indios. Die Menge umgab ihn, die anderen Springer und den Baum wie ein undurchdringlicher Wall aus Leibern. Matt resignierte und drehte sich zur Felsspalte um. Es gab im Moment nur einen Weg für ihn: den über den Bach.
Der erste der sechs Indios unter dem alten Baum packte die Liane, die er sich ausgesucht hatte, schritt mit ihr in den Fäusten rückwärts zum Stamm des alten Baumes und, so weit die Länge es zuließ, noch ein Stück an ihm vorbei. Ein letzter Blick in die Krone, ein letzter prüfender Ruck an der Liane – dann nahm er Anlauf. Er rannte zur Felsspalte, schwang sich darüber hinweg und ließ knapp vor dem anderen Ufer die Liane los. Er flog ein Stück durch die Luft, schlug jenseits von Bach und Felsspalte im Gras auf und rollte sich gekonnt ab.
Die Indios seiner Gruppe johlten und klatschten.
Der Nächste packte seine Liane, nahm Anlauf, sprang ab – und landete am anderen Ufer. Wieder Gejohle und Beifall. Dann sprang der dritte Indio und überwand die Felsspalte ebenfalls.
Es sah gar nicht so schwer aus. Matt fasste Mut. Er suchte sich eine Liane aus, zog sie so weit wie möglich zurück unter den Baum, nahm Anlauf, rannte los und stieß sich einen halben Meter vor dem rauschenden Bach ab.
Kaum schwang er an der gestrafften Liane durch die Luft, spürte er den stechenden Schmerz in der Schulter.
Der verdammte Schlangenbiss!
Viel zu früh ließ Matt los, stürzte noch vor dem anderen Ufer in die Spalte und prallte gegen den Fels.
***
Spätsommer 2522
Sie kamen nur langsam voran, sehr langsam. Häufig lagen Äste auf dem Weg, manchmal gar umgestürzte Bäume. Einmal zwangen sie Schlammlöcher, abzusteigen und die Maschinen über eine längere Strecke mühsam durch den Wald zu schieben.
Für Brainless Kid war es die größte Prüfung, denn die anderen gönnten ihm seine Ruhe nicht. Jedes Mal musste er mit anpacken, wenn
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