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35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

Titel: 35 - Sendador 02 - In den Kordilleren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gekommen.“
    „Sie hätten diese weite Reise, welche durch die Wildnis führt, allein unternommen? – Eine Dame, welche –“
    „Ich bin keine Dame!“ unterbrach sie mich zornig. „Nennen Sie mich nicht so! Ich wollte fort, zurück zu meinem Stamm. Man erlaubte es mir nicht. Da fiel es mir ein, daß ich die Herrscherin der Toba bin und daß kein Christ mir etwas zu befehlen hat. Als alle schliefen, nahm ich das Gewehr des Herrn, zu dem der Tío mich gebracht hatte, sein Messer und den Sattel; ich holte sein bestes Pferd und ritt davon. Nach fünf Tagen war ich bei den Meinigen angekommen und gehe nicht wieder von ihnen fort!“
    Der gute Pena machte ein höchst verblüfftes Gesicht; er war das leibhafte Erstaunen. Er konnte auch nicht damit zurückhalten, sondern fragte:
    „Aber, Señorita, haben Sie denn den Weg gewußt?“
    „Ja, ich war ihn schon geritten, als der Tío mich hinbrachte.“
    „Und da haben Sie es gewagt, sich zurechtzufinden? Fünf Tage lang!“
    „Warum nicht?“
    „Wovon haben Sie denn gelebt?“
    „Von der Jagd.“
    „So können Sie sich also auf Ihr Gewehr verlassen?“
    „Ich habe vorhin einen Falken geschossen. Der Tío ging fort, um ihn mir holen zu lassen.“
    Er hatte den Diener nicht fortschicken können, da mittlerweile wir gekommen waren. Ich war neugierig, in welchem Verhältnis sie zu ihm stand, und fragte daher:
    „Der Tío hat Sie wohl seit der frühesten Kindheit gepflegt?“
    „Nein. Ich lernte ihn erst kennen, als er zu uns kam.“
    „So ist er nicht Ihr wirklicher Verwandter?“
    „Nein; aber er hört es gern, wenn ich ihn Tío nenne. Er liebt mich so, daß ich ihn Vater nennen möchte; aber das duldet er nicht.“
    „Wie lange ist es her, seit er sich hier befindet?“
    „Elf Jahre. Ich zählte damals sechs.“
    „Wo kam er her?“
    „Aus Europa.“
    „Wissen Sie das Volk, welchem er angehört?“
    „Ja.“
    „Wie heißt es?“
    „Das darf ich nicht sagen; er hat es mir verboten.“
    „Wissen Sie, warum niemand wissen soll, woher er gekommen ist?“
    „Nein. Er hat sein Land verlassen, weil diejenigen, welche dort wohnen, ihn töten wollten.“
    „Sie nannten sich die Herrscherin der Tobas. Wer ist der Häuptling derselben?“
    „Das Volk der Tobas zerfällt in mehrere Stämme, deren jeder einen Häuptling hat. Die Herrscherin über alle aber bin ich, und der Tío regiert sie an meiner Stelle.“
    „Wie kommt es, daß kein männlicher Herrscher vorhanden ist?“
    „Der vorherige Herrscher war mein Großvater, und dieser ist tot. Der letzte Herrscher aber ist fortgegangen und nicht wiedergekommen.“
    „Warum nicht?“
    „Ich will es Ihnen erklären. Die Familie der Könige, welche über die Tobas herrschen, ist so alt wie das Volk selbst. Mein Großvater war der letzte Sproß derselben. Er hatte keinen Sohn, sondern eine Tochter. Nach den Gesetzen der Toba mußte diese die Königin werden, und derjenige, den sie liebte, wurde der Herrscher. Alle Jünglinge des Volkes, welche sich durch Kraft, Tapferkeit oder Klugheit ausgezeichnet hatten, bewarben sich um ihre Gunst, aber sie mochte keinen von ihnen, denn sie liebte einen Weißen, der zu uns gekommen war. Die Ältesten traten zusammen, um zu beraten, und sie machten ihn zu ihrem Herrscher, denn er wurde der Mann meiner Mutter. Als ich geboren war, ging er auf die Jagd und kehrte nicht zurück. Mit ihm war auch das viele Gold verschwunden, welches die Toba aus den Bergen geholt hatten und das den Schatz des Volkes bildete.“
    „So ist er vielleicht auf der Jagd verunglückt!“
    „Nimmt man viele Pfunde Gold mit, wenn man zur Jagd geht?“
    „Allerdings nicht. Aber hat man gesehen, daß er es nahm?“
    „Nein.“
    „So kann auch ein anderer der Dieb gewesen sein!“
    „Nein. Wenn ein Toba das Gold gestohlen hätte, so hätte man später gesehen, daß er reicher geworden sei. Mein Vater war der Dieb, denn er war ein Weißer. Ich antwortete dir, daß niemand wieder von ihm gehört hat. Das ist auch wahr. Gehört hat keiner von ihm; aber gesehen hat ihn einer in einer großen Stadt, welche Montevideo heißt. Der Mann, einer unserer Krieger, war als Führer dorthin gekommen und sah meinen Vater, seinen entflohenen Herrscher, in einem prächtigen Wagen fahren.“
    „Menschen sehen einander ähnlich!“
    „Er war es, denn der Krieger ist dem Wagen nachgesprungen, der bald darauf vor einem schönen Haus gehalten hat. Als mein Vater ausstieg, trat der Krieger zu ihm und nannte ihn beim Namen.

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