35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
so dicht von großblättrigen Winden umrankt, daß wir von weitem nicht in das Innere sehen konnten. Darum erschrak ich fast, als uns aus derselben eine weibliche Stimme entgegentönte:
„Nun, Tío (Oheim), hast du fortgeschickt? Ich möchte den Vogel doch haben, da ich ihn so gut getroffen habe.“
Diese Stimme klang mild und glockenrein; sie sprach spanisch. Wir beide blieben stehen und sahen einander an.
„Alle Wetter!“ flüsterte Pena. „Eine Señora!“
„Oder gar Señorita!“ lächelte ich ihm zu. „Nehmen Sie Ihr Herz in acht.“
„Pah! Mir wird keine gefährlich, weil keine mich mag. Aber eine Frau, ein Mädchen hier! Ich komme aus der Verwunderung gar nicht heraus!“
„Es ist freilich seltsam. Sie ist des Alten Nichte, das heißt ein Wesen, welches ich mir nicht so ganz und gar uralt vorstellen kann.“
„Himmel! Wollen wir vollends hin zu ihr?“
„Natürlich! Sie hat uns ja gehört.“
„Gehen wir lieber zurück! Wir haben nicht das Aussehen von Leuten, welche sich vor einer Dame verbeugen dürfen!“
Fast hätte ich laut gelacht. Dieser wackere Pena fürchtete sich vor einem weiblichen Wesen. Er sah es mir an und fügte hinzu:
„Stellen Sie sich eine junge, saubere Señorita vor! Was soll die von uns denken, wenn sie uns in diesem Aufzug erblickt!“
„Nun, so überaus zart und so weiter ist die Dame jedenfalls nicht!“
„Meinen Sie? Warum?“
„Erstens befindet sie sich im Gran Chaco; zweitens lebt sie mitten unter Indianern, und drittens scheut sie den Pulverrauch nicht.“
„Woher wissen Sie das?“
„Sie haben doch auch den Schuß gehört? Sie hat nach dem Raubvogel geschossen und ihn auch getroffen, wie sie soeben sagte.“
„Ja, so ist es. Na, eine Señora, welche schießt, die wird es uns wohl nicht übelnehmen, daß wir keinen Frack und weiße Handschuhe mit nach dem Chaco gebracht haben. Also, mutig vorwärts!“
„Tío!“ erklang es jetzt wieder aus der Laube. „Warum antwortest du nicht?“
„Weil er es nicht ist, den Sie gehört haben“, sagte ich, indem ich fünf oder sechs Schritte tat, welche mich dem Eingang der Laube nahebrachten. Pena folgte mir. Ich konnte in das kleine, allerliebste Rankenhäuschen blicken. Dort saß ein Mädchen, welches bei meinem Anblick auf das höchste erschrocken von dem Sitz auffuhr und dabei einen lauten Schreckensruf ausstieß. Pena glaubte, nachdem ich gesprochen hatte, nun auch einige Worte sagen zu müssen, und fragte, indem er sich verneigte, in beruhigendem Ton:
„Sind Sie erschrocken, Señorita? Fürchten Sie sich nicht! Wir tun Ihnen nichts.“
Die Halbindianerin – denn daß sie das war, sah ich ihr an – hatte die eine Hand an den Pfosten des Eingangs gelegt; die andere hielt sie an das Herz. Ich sah sie zittern, so sehr war sie erschrocken.
Sie trug ein ganz einfaches, bis auf den Boden herabfallendes, aus weißem Kattun bestehendes Gewand, eigentlich ein Hemd mit langen Ärmeln, welches über den Hüften von einem Gürtel aus rotem Zeug zusammengehalten wurde. Das dichte, rabenschwarze Haar hing in zwei dicken Zöpfen weit über den Rücken herab. Ihr Gesicht war bräunlich gefärbt, schön gerundet und zeigte nicht die vorstehenden Backenknochen der indianischen Rasse. Sie hätte sich in Beziehung auf Schönheit mit jeder weißen Porteña messen können.
Daß sie leise zitterte, war wohl nicht eine Folge angeborener Ängstlichkeit. Sie lebte in tiefster Einsamkeit, unter Roten, bei denen sich selten ein Weißer sehen ließ. Sie hielt sich hier für allein, an einem Ort, den ein Fremder unmöglich aufzufinden vermochte. Und nun traten wir beide, die wir allerdings jetzt ein sehr wenig vertrauenerweckendes Aussehen haben mochten, vor sie hin; das mußte auch die Furchtloseste in tiefen Schreck versetzen.
Neben der Stelle, auf welcher sie gesessen hatte, lehnte das abgeschossene Gewehr an der Bank. Ihr kleines Händchen glitt langsam von dem Pfosten nieder, griff dann mit einer schnellen Bewegung nach der Flinte, hielt uns dieselbe entgegen, und während die erbleichten Wangen wieder Farbe bekamen und die dunklen Augen zu leuchten begannen, fragte das schöne Mädchen in drohendem Ton: „Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?“
„Bitte, legen Sie das Gewehr immerhin beiseite!“ antwortete ich. „Wir sind nicht als Feinde gekommen.“
„Haben Sie schon mit meinem Oheim gesprochen?“ fragte sie.
„Natürlich!“
„Ja, es ist richtig“, sagte sie, indem sie das Gewehr weglegte. „Sie
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