35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
müssen ihn gesehen und mit ihm gesprochen haben, sonst könnten Sie nicht hier sein. Aber warum kommt er nicht mit?“
„Er hat infolge unserer Ankunft schnell einiges zu tun, wird aber bald nachfolgen.“
„Und warum haben Sie nicht unten Ihre Waffen abgelegt?“
„Weil wir beabsichtigen, nicht sofort wieder hinabzugehen, sondern hier zu bleiben. Doch werden wir uns nun jetzt ihrer entledigen, da es scheint, daß der Anblick derselben Ihnen unangenehm ist.“
„Unangenehm?“ fragte sie, indem ein stolzes Lächeln über ihr Gesicht glitt. „Ah, Sie beurteilen mich nach Ihren Frauen! Ich fürchte die Waffen nicht, sondern ich liebe sie und bin im Gebrauch derselben geübt. Sie sind es ja, ohne welche wir nicht leben könnten. Doch, setzen Sie sich!“
Wir lehnten unsere Gewehre an die Mauer und traten in die Laube, welche Raum für vielleicht sechs Personen bot. Als wir uns ihr gegenüber gesetzt hatten, musterte sie uns mit einem langen, offenen Blick und sagte dann:
„Mein Tío muß ein großes Vertrauen zu Ihnen hegen, da er Ihnen sein Geheimnis so ganz und gar offenbart. Diesen Garten hat bisher nur ein Einziger betreten dürfen.“
Bei diesen Worten wurde ihr Gesicht plötzlich starr und finster, so daß ich unwillkürlich fragte: „Und dieser Eine war kein guter Mensch?“
„Woher wissen Sie das?“ fuhr sie auf.
„Ich vermute es.“
„Nein, Sie wissen es!“
„Gewiß nicht!“
„Sie kennen ihn! Sie haben ihn gesehen! Wo befindet er sich?“
Ihre Augen funkelten wie diejenigen der Jaguareté, wenn sie sich auf ihre Beute stürzen will.
„Beruhigen Sie sich, Señorita! Ich kenne ihn wirklich nicht.“
„Warum sprachen Sie von ihm?“
„Weil sie selbst seiner erwähnten.“
„Aber Sie behaupteten, daß er kein guter Mensch sei!“
„Weil ich es Ihnen ansah, daß Sie ihn nicht für einen solchen halten.“
Sie warf mir einen erstaunten Blick zu und sagte:
„Haben Sie das in meinem Gesicht gelesen? Nun wohl, Sie haben sich nicht getäuscht. Er ist ein Meineidiger, und – ich hasse ihn!“
Sie ballte die kleinen Hände und drückte die Lippen fest zusammen. Wir hatten noch nicht zwei Minuten lang miteinander gesprochen, und ich kannte schon das Leid, welches sie in ihrem jungen Herzen trug. Das konnte nur bei so einem Naturkind möglich sein.
Auch in dieser Laube befanden sich zwei Maueröffnungen. Vor der einen war der Rankenvorhang zur Seite geschoben, so daß man hinaus auf den See blicken konnte; sie deutete hinaus und sprach:
„Aus dieser Gegend müßte er kommen, dort, dem östlichen Ufer der Lagune entlang. Ich habe täglich nach ihm geschaut, aber er ist nicht gekommen. Ich hasse ihn!“
Da täuschte sie sich. Sie liebte ihn noch. Und wenn sie ihn jetzt gesehen hätte, dort drüben an der Lagune, so wäre ihr Gesicht wohl nicht so zornig geblieben, wie es jetzt war.
Wir beide sagten nichts. In sogenannter feiner Gesellschaft hätten wir eine Generalpause vermeiden müssen; hier aber durften wir uns ganz nach unserer Stimmung verhalten. Das Mädchen machte einen ganz eigenen Eindruck auf mich; es war, als ob ihr Herz und ihr ganzes Wesen offen vor mir liege, und doch saß sie als ein Geheimnis vor mir, dessen Enthüllung man unterläßt, weil es einem heimlich graut. Nach einiger Zeit fuhr sie fort, wie nur zu sich selbst sprechend:
„Ja, ich hasse ihn, denn er war ein Weißer.“
„Sie hassen die Weißen, Señorita?“ fragte ich.
„Ja. Sie lügen alle; sie sind treulos!“
„Vielleicht haben Sie einen oder auch einige kennen gelernt, welche diesen Eindruck auf Sie gemacht haben. Aber es gibt Millionen von Weißen. Meinen Sie, daß sie alle so sind, wie dieser Eine oder diese Einigen?“
„Ja, alle sind so! Ich habe sie kennengelernt, in San Antonio, wohin der Tío mich tat, damit ich eine Dame werden solle.“
„Sie sind es geworden, Señorita!“
Ich glaubte, ihr damit ein Kompliment zu machen, hatte mich aber sehr getäuscht, denn sie blitzte mich an:
„Nein, ich bin keine; ich will keine sein und auch keine werden! Ich wollte eine werden – wegen ihm; aber er ist nicht gekommen.“
„Also hat es Ihnen in San Antonio nicht gefallen?“
„Nein. Und dennoch wäre ich geblieben, wenn die Menschen gut gewesen wären. Sie waren freundlich, und hinter dem Rücken sprachen sie Schlechtes voneinander. Alle waren falsch, und alle waren schlecht. Ich bin entflohen.“
„Wie? Hoffentlich hat der Tío Sie zurückgeholt!“
„Nein; ich bin selbst
Weitere Kostenlose Bücher