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35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

35 - Sendador 02 - In den Kordilleren

Titel: 35 - Sendador 02 - In den Kordilleren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Besinnung gehabt, die zweite, deutlichere Hälfte zurückzuhalten, aber die ausgesprochenen Worte und die Art und Weise, in welcher er sie hören ließ, konnten uns leicht auf Vermutungen bringen, welche ihm unangenehm sein mußten.
    Und, offen gestanden, kaum hatte ich sie gehört, so kam mir der Gedanke, daß er froh sei, zu erfahren, daß unsere Heimatorte nicht in der Nähe des seinigen lagen. Ich brachte damit die Ausschmückung der Totenkopfstube in Verbindung und konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es einen sehr, sehr dunklen Punkt in seiner Vergangenheit gebe, der es ihm wünschen lasse, uns in Beziehung auf sein Vorleben ein Unbekannter zu sein. Aber diese Gedanken und Schlüsse kamen nicht etwa langsam, sondern so blitzschnell, daß ich, als er seine Worte kaum über die Lippen hatte, ihm schon antworten konnte:
    „Ja, Gott sei Dank, daß wir Landsleute sind! Denn nun kann kein Mißtrauen mehr herrschen, und wir werden einander nach besten Kräften beistehen!“
    Ich sagte das und brachte es so schnell nach seinen unterbrochenen Worten, daß er meinen sollte, wir hätten gar nicht auf dieselben geachtet. Aber Pena war weniger aufmerksam und zartfühlend. Er fragte:
    „Dürfen nun auch wir erfahren, woher Sie sind?“
    „Na-tür-lich!“ antwortete der Alte in sichtlicher Verlegenheit. „Ich bin, ich – ich bin aus –“
    Er stockte. Dann raffte er sich wie unter einem Entschluß auf, sah uns einen Augenblick prüfend an und fuhr dann fort:
    „Nein, ich will Sie nicht belügen. Ich bin ein Deutscher; ich war ein Deutscher mit Leib und Seele, und das ist mein Unglück gewesen. Damals war ich Däne. Heute gehört meine Heimat zum deutschen Reich. Heute könnte das nicht geschehen, was – doch davon wohl später. Kennen Sie die Geschichte Schleswig-Holsteins?“
    Wir bejahten.
    „Ist Ihnen, als sie davon lasen oder sprachen, vielleicht auch der Name Winter, Alfred Winter, vorgekommen?“
    Ich sann nach, mußte aber verneinen; Pena auch.
    „Dieser Winter bin ich. Vielleicht hören Sie meine Geschichte. Jetzt ist dazu nicht Zeit, und wir müssen uns erst kennenlernen. Die Hauptsache ist, daß wir über die Mbocovis sprechen. Vorher aber, Unica, du hast gehört, wer und was diese Herren sind – willst du sie nicht begrüßen?“
    Er sagte das in deutscher Sprache zu ihr, und zu meiner lebhaften Verwunderung reichte sie uns die Hand und sagte in derselben Sprache, und zwar ziemlich fließend:
    „Sie machen uns eine große Freude und sind uns nun doppelt willkommen!“
    „Potztausend!“ rief Pena. „Auch Sie sprechen deutsch, Fräulein Unica? Am Ende erfahren wir, daß Sie keine Indianerin sind, sondern aus München oder Wiesbaden stammen!“
    „Das nicht“, sagte der Alte. „Wie ich mein Deutschland und seine Sprache liebe, so konnte ich nicht eine so lange Reihe von Jahren in dieser Einsamkeit leben, ohne die Laute derselben zu hören. Darum hat Unica mir den Gefallen tun müssen, meine Schülerin zu werden, und sie ist schnell so weit gekommen, daß sie sich auszudrücken vermochte. Später bekam sie noch einen anderen Lehrer, welcher –“
    Er hielt inne.
    „Sprich weiter, Oheim!“ forderte Unica ihn auf.
    „Es tut dir weh!“
    „Nein. Und diese Herren wissen schon einiges davon.“
    „So hast du es doch nicht hüten können!“
    „Ich sagte ihnen, daß ich die Weißen hasse.“
    „Ja, hättest du sie nur alle gehaßt und nicht diese Ausnahme gemacht! Sie, meine Herren, sind nämlich nicht die ersten Deutschen, die sich bei mir befinden. Ich traf auf einem Streifzug einen Verwundeten im Wald und nahm ihn mit zu mir. Er blieb bei mir, und es gelang ihm, sich unser ganzes Vertrauen zu erwerben und uns um vieles, vieles zu betrügen. Daß er ein Deutscher war, hat mir am wehesten getan.“
    „Wie heißt dieser junge Mann?“ fragte ich.
    „Wir haben uns das Versprechen gegeben, seinen Namen nicht mehr zu nennen.“
    „Aber seinen Heimatort dürfen Sie aussprechen?“
    „Ja. Er war aus Graz.“
    „Also ein Deutschösterreicher! Ich möchte Sie bitten, diesen jungen Mann nicht ungehört zu verdammen. Wie lange ist es her, daß der Termin seiner Rückkehr fällig war?“
    „Volle sechs Monate.“
    „Das ist für die hiesigen Verhältnisse noch lange keine Ewigkeit. Wenn es Jahre wären, wollte ich mir Ihre Erbitterung oder, wenn ich besser so sage, Ihre Enttäuschung oder Hoffnungslosigkeit gefallen lassen. Aber sechs Monate! Von Buenos Aires bis hierher ist es weit,

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