36 - Das Vermächtnis des Inka
Maultier los, stieg auf und ritt ihm nach. Ich brauchte dabei keinen Umweg zu machen, denn die Richtung, welche er eingeschlagen hatte, führte nach der Salina del Condor, wohin auch ich wollte. Ich war sehr schnell die Lehne hinab und bog dann um die Stelle, hinter welcher er verschwunden war. Von da lief ein ziemlich steiler Abhang in ein schmales Tal hinunter. Der Indianer war schon unten. Er schien es eilig zu haben, denn er ging schneller, als mein Maultier bis jetzt gegangen war. Ich spornte es also an. So folgte ich ihm in das Tal, durch dasselbe auf eine Ebene, dann wieder über einen felsigen Abhang in ein zweites Tal, in welchem ich ihm so nahe kam, daß er den Hufschlag meines Tieres hörte. Er blieb einen Augenblick stehen, um sich umzublicken. Als er mich sah, eilte er viel schneller weiter, als er bisher gegangen war. Er wollte mir ausweichen. Ich gab meinem Tier die Sporen, daß es zu galoppieren begann. Er hörte das und blickte nach rechts und nach links, um einen Ausweg zu entdecken, aber die Seitenwände des Tales waren gerade hier so senkrecht eingeschnitten, daß er nicht hinauf konnte. Jedoch da öffnete sich das Tal, noch ehe ich ihn ganz erreicht hatte, und er wollte sich seitwärts wenden. Ich rief ihm zu: ‚Bleib stehen, sonst schieße ich!‘
Er hörte nicht; darum schickte ich die Kugel des einen Laufes hinter ihm her. Ich traf ihn nicht, wollte ihn überhaupt nicht treffen; er hörte die Kugel neben sich auf den Felsen schlagen und mochte nun doch denken, daß es geraten sei, meinem Befehl zu gehorchen. Er blieb also stehen und drehte sich nach mir herum. Das Doppelgewehr noch in der Hand, kam ich an ihn heran. Da fragte er mich: ‚Señor, was habe ich Ihnen getan, daß Sie auf mich schießen?‘
‚Warum läufst du davon, wenn ich dir Halt gebiete?‘ antwortete ich.
Da richtete er sich hoch auf, schüttelte sein langes, weißes Haar wie der Löwe seine Mähne und entgegnete in einem Ton, als ob er ein König sei: ‚Wer hat hier zu gebieten? Sie etwa?‘
Dabei funkelten mich seine Augen nur so an; aber sie waren es nicht allein, welche funkelten, denn das Paket, welches er auf dem Rücken trug, bestand aus einem Bastnetz, zwischen dessen Maschen es wie reines, pures Gold hervorschimmerte. Und bei der Bewegung, welche er gemacht hatte, gab die glänzende Bürde einen leisen Ton von sich, wie er nur vom Gold hervorgebracht wird. Wie es so schnell kam, das weiß ich auch jetzt selbst noch nicht; kurz und gut, ich richtete mit einer blitzschnellen Bewegung den zweiten Lauf auf ihn und drückte ab. Der Schuß krachte, und der Mann stürzte zu Boden.“
„Vorn durch die Brust geschossen?“ fragte der Gambusino.
„Nein, sondern von hinten in das Herz getroffen. Als ich den Lauf auf ihn richtete, machte er nach der Seite hin eine schnelle Drehung um sich selbst, damit ich ihn nicht treffen solle; aber mein Auge war schneller als er; ich folgte seiner Bewegung und schoß ihn von hinten nieder. Das Netz glitt von seinem Rücken und fiel neben ihm hin, wobei es sich öffnete; einige Stücke des Inhalts rollten heraus. Es waren kleine, goldene Gefäße und andere Gegenstände, deren Zweck ich nicht zu erraten vermochte. Der Indianer war tot, und diese Sachen gehörten mir. Ich wickelte sie in eine Decke, welche ich hinter mir an den Sattel zu schnallen pflegte – – –“
„Und bist natürlich nach der Barranca zurückgeritten?“ fiel der Gambusino ihm ins Wort.
„Nein. Ich hatte seit fast zwei Tagen kein Wasser gehabt, und mein Maultier mußte trinken, wenn es nicht liegenbleiben wollte. Daher mußte ich zunächst nach der Salina del Condor, in deren Nähe, wie du weißt, einige Quellen sind; dann erst wollte ich wieder nach der Barranca zurück, um den Ort zu suchen, von welchem der Indianer die Kostbarkeiten geholt hatte.“
„Vorher aber nahmst du ihm seinen Skalp?“
„Ja. Wie ich auf den Gedanken kam, dies zu tun, kann ich freilich nicht sagen. Ich hatte daheim eine Sammlung von allerlei Kleinigkeiten, Andenken an meine früheren Reisen und Erlebnisse, und als ich so vor dem Toten stand und sein Haar betrachtete, fielen mir die Indianerskalpe ein, welche man in so vielen Sammlungen findet, und ich dachte, daß dieser Schopf es wohl wert sei, mitgenommen zu werden. Ich schnitt die Kopfhaut also vom Schädel los und wickelte sie mit in die Decke.“
„Hm! Also auf diese Weise bist zu der Haut gekommen!“ sagte der Gambusino langsam und in nachdenklichem Ton. „Ich
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