36 - Das Vermächtnis des Inka
die Rückreise antrat, mußte ich, um nur herüberzukommen, mich an einen Kaufmann, welcher nach Mendoza wollte, als Diener vermieten. Ich sage dir, daß er nie dort angekommen ist; warum, das kannst du dir denken.“
Er stieß ein hämisches Lachen aus. Er hatte natürlich diesen Kaufmann ermordet, um zu dem Eigentum desselben zu kommen. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Ich war also ganz allein, als ich die diesseitigen Hänge des Gebirges erreichte. Es war des Abends, als ich an der Barranca del Homicidio ankam. Da du auch dort gewesen bist, so weißt du, daß es eine höchst unwirtliche Gegend ist. Gern wäre ich noch bis zur Salina del Condor weitergeritten, aber es war denn doch zu weit, und der Weg da hinunter ist so schlecht, daß man selbst beim hellsten Mondschein verunglücken oder wenigstens ihn verfehlen kann. Ich suchte mir also einen Felsen, um hinter ihm Schutz gegen den rauhen Nachtwind zu finden, band mein Maultier an einen Stein fest und legte mich zum Schlafen nieder.“
„Konntest du denn schlafen?“ fragte der Gambusino mit eigenartiger Betonung.
„Warum sollte ich das nicht?“
„Des Kaufmanns wegen, welcher nie in Mendoza angekommen ist.“
„Du meinst, daß er mir verwundet und blutig im Traum erschienen sei? Ich bin kein Kind oder altes Weib. Wer tot ist, kommt nicht wieder. Dennoch wollte an jenem Abend der Schlaf nicht gleich kommen; dafür aber kam ein anderer.“
„Ah, ich vermute! Der Indianer, oder nicht?“
„Ja. Der Vollmond stand am Himmel, und kein Wölkchen war zu sehen. Ich hörte Schritte und lauschte. Ein Mann kam, ohne mich und mein Maultier zu sehen, ganz nahe an dem Felsblock vorüber, hinter dem ich lag. Er blieb stehen und schaute nach dem Mond. Dabei bekam ich sein Gesicht zu sehen. Er war ein Greis, aber ein sehr rüstiger und sehr schöner Greis. Er trug einen langen Bogen und einen Köcher auf der Schulter, und ein Messer stak in seinem Gürtel; andere Waffen hatte er nicht und schien überhaupt gar nichts anderes bei sich zu haben. Auffallend war sein langes, weißes und sehr dichtes Haar, welches ihm hinten bis an die Oberschenkel vom Kopf hing und, wie ich später bemerkte, durch eine Spange zusammengehalten wurde. Er stand lange da, ohne sich zu bewegen, starrte den Mond an und flüsterte dabei leise Worte, als ob er betete. Es schien, als ob er warten wolle, bis der Mond den höchsten Punkt seines Bogens erreicht habe; dann ging er weiter.“
„Und du folgtest ihm heimlich?“ fragte der Gambusino.
„Ich wollte es tun, brachte es aber nicht fertig. Der scharfe Rand der Barranca befand sich nämlich gar nicht fern von mir. Der Mann ging auf denselben zu und war dann verschwunden. Ich kroch leise bis hin zur Schlucht und blickte hinab. Ich sage dir, daß mir bei dem, was ich sah, ein Grauen ankam. Die Felswand stieg beinahe senkrecht hinab; sie schien nicht die kleinste Stelle zu haben, an welcher ein menschlicher Fuß festen Halt fassen könnte, und doch glitt der weißhaarige Mann mit einer Sicherheit da hinab, als ob eine bequeme Treppe hinunterführe. Sein Haar glänzte im Mond, bis ich es nicht mehr sehen konnte, so groß war die Tiefe, in welche er hinunterstieg. Wer war der Mann? Seinen Zügen nach jedenfalls ein Indianer. Was wollte er hier? Warum wartete er, um den gefährlichen Weg anzutreten, nicht, bis es Tag geworden war? Wo hatte er sein Maultier? Oder war er so arm, daß er keines besaß? Du kannst dir denken, daß ich diese und andere Fragen gern beantwortet haben wollte; darum blieb ich am Rand der Schlucht auf der Lauer liegen, um auf seine Rückkehr zu warten. Ich lag die ganze Nacht; er kam nicht wieder; aber am Morgen, eben als die Sonne im westlichen Tiefland aufstieg, sah ich ihn jenseits langsam emporklettern. Er hatte jetzt ein Paket auf dem Rücken hängen. Als er oben angekommen war, breitete er die Arme gegen die Sonne aus, als ob er sie begrüßen wolle, und ging dann weiter. Ich beobachtete ihn, ohne daß er mich sehen konnte. Von der Höhe, auf welcher er sich ebenso wie ich mich befand, ging eine felsige Lehne allmählich abwärts; er schritt dieselbe hinunter und bog dann um den Fuß einer zweiten Höhe, worauf er mir aus den Augen verschwand.“
„Du bist ihm natürlich sofort nach?“ fragte der Gambusino.
„Ja. Ich mußte unbedingt wissen, wer der Mann war und was er nächtlicherweile aus der Barranca geholt hatte, denn das Paket, welches er jetzt trug, hatte er am Abend nicht gehabt. Ich band mein
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