36 - Das Vermächtnis des Inka
kaum zu schleppen. Sollen sie dann noch in rasender Karriere laufen, so können sie es nicht aushalten und brechen schließlich mitten im Rennen zusammen. Das tut aber nichts. Man hat Reservepferde mitgenommen. Man schnallt den Gurt einem derselben um und läßt das gestürzte Pferd einfach liegen. Es lebt noch, ist aber so abgehetzt und ermattet, daß es nicht aufstehen kann. Seine Flanken schlagen; seine Extremitäten zucken krampfhaft; seine Augen sind mit Blut unterlaufen, und die Zunge hängt ihm weit aus dem geöffneten Maul. Die Geier, welche in Menge auf den Pampas vorhanden sind, und denen niemand etwas tut, weil sie die Gesundheitspolizei bilden, nähern sich und reißen dem armen Tier das Fleisch fetzenweise vom Leib. Nach wenigen Stunden ist von dem Pferd nur das vollständig fleischlose Gerippe vorhanden. Daher kommt es, daß man fast bei jedem Schritt gebleichten Knochen begegnet. Das Leben eines Pferdes hat eben für den Gaucho keinen Wert. Und wollte man ihn auf die moralische Seite dieser Behandlung eines Geschöpfes Gottes aufmerksam machen, so würde er erstaunt auflachen, weil er nicht das mindeste Verständnis dafür besitzt.
Eine solche Diligence kam jetzt hinter den drei Reitern her. Sie fuhr schneller, als diese ritten, und hatte sie also sehr bald eingeholt. Im Vorüberjagen rief der Peon fragend: „Wohin, Señores?“
„Nach Fort Tío, Euer Gnaden“, antwortete der Chirurg.
„Wir kommen dort vorüber. Soll ich für Euer Gnaden Quartier bestellen?“
„Ja, ich bitte Sie darum, Señor!“
Die wilde Jagd ging weiter und war sehr bald am Horizont verschwunden.
„Ist so etwas erhört?“ meinte Fritze kopfschüttelnd. „Bei uns zu Hause würde diesen Leuten sehr bald dat Handwerk jelegt werden. Und da soll man sie noch mit Euer Gnaden titulieren! Wat sagen Sie zu so 'ne Tierquälerei, Herr Doktor?“
„Gar nichts, als daß man diese Menschen einmal so behandeln sollte, wie sie ihre Pferde behandeln. Dann würden sie vielleicht zur Einsicht kommen, was der Lateiner Intelligentia oder auch Perspicientia nennt.“
Morgenstern hatte die Ruhepause nur wegen sich selbst, nicht aber seines Pferdes wegen gehalten. Dieses war noch gar nicht ermüdet gewesen, und so ging es jetzt im fröhlichen Galopp weiter. Er freilich machte kein sehr fröhliches Gesicht dazu, denn das Reiten strengte ihn an. Er gab sich alle Mühe, dies nicht merken zu lassen, doch mußte am Nachmittag noch ein längerer Halt gemacht werden, und so war es beinahe Abend geworden, als sie das Fort vor sich liegen sahen. Es war ihnen leicht gewesen, den Weg zu demselben zu finden. Das Geleis der Diligence war ein zuverlässiger Führer wesen.
Unter einem Fort an der argentinischen Indianergrenze darf man sich nicht das denken, was man hier bei uns unter einem Fort versteht. Fort Tío bestand aus einer von dichten, stacheligen Kaktushecken eingefriedigten Fläche, welche von einem Graben umgeben war. Auf dieser Fläche standen einige Ranchos, in denen jetzt wohl zwanzig Soldaten lagen, deren Kommandeur ein Leutnant war. Der Eingang stand weit offen. Als die drei Männer hineinritten, kam ihnen dieser Leutnant entgegen.
„Willkommen!“ rief er ihnen zu. „Wir freuen uns, Señores, Sie bei uns zu – – –“
Er hielt inne. Sein Auge war auf den Chirurgen gefallen. Da lachte er fröhlich auf und fuhr fort: „El Carnicero! Ah, sehen wir uns einmal wieder. Welche Operationen haben Sie ausgeführt, seit wir uns in Rosario zum letztenmal sahen?“
Dies war in einem einigermaßen spöttischen Ton gesprochen. ‚Don‘ Parmesan fühlte sich beleidigt und antwortete spitz: „Ich liebe es, daß sich für meine Operationen nur diejenigen Leute interessieren, welche ich operiert habe oder operieren soll. Soll ich Ihnen oder einem Ihrer Untergebenen ein Bein oder einen Arm abnehmen?“
„Nein, Señor, wir sind glücklicherweise alle sehr gesund und wohl.“
„So lassen Sie uns nicht von solchen Sachen sprechen, obgleich ich Sie wohl fragen könnte, was Sie zum Beispiel zu einer Entfernung der unteren Kinnlade sagen. Würde der Patient auch ohne dieselbe leben können?“
„Das vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, daß ich ohne die meinige nicht leben möchte. Was für Señores darf ich neben Ihnen begrüßen?“
„Zwei deutsche Gelehrte, von denen der eine der Diener des anderen ist. Ihre Namen mögen sie selbst sagen; meine Zunge ist nicht imstande, sie auszusprechen. Ich will lieber einem Elefanten alle
Weitere Kostenlose Bücher