37 - Satan und Ischariot I
Strecke weit fort, so daß man uns nicht hören konnte, blieb dann stehen, blitzte mich mit zornigen Augen an und fragte:
„Old Shatterhand hat mit dem ‚Großen Mund‘ gesprochen. Die Worte habe ich zwar nicht verstanden, aber ich errate, was es gewesen ist.“
„Wenn dies wirklich der Fall ist, so ist es mir unbegreiflich, daß du nicht an deinem Platz liegengeblieben bist. Der Schlaf ist dir ebenso notwendig wie uns anderen allen.“
„Wie kann ich schlafen, wenn ich sehe und höre, daß der Verrat sich in unserer Mitte befindet?“
„Der Verrat? Will mein roter Bruder mir sagen, wen er für einen Verräter hält?“
„Du bist es, du selbst!“
„Ich? Ein Verräter? Wenn der ‚Starke Büffel‘ Old Shatterhand, dem nie jemand die geringste Untreue nachzusagen vermochte, für einen Verräter hält, so kann der Grund nur darin liegen, daß der große Geist ihm das Gedächtnis genommen und die Sinne verwirrt hat. Ich schenke dir mein Mitleid, und da ich dein Freund und Bruder bin, tut es meiner Seele weh, dich so lange von unserem Rat ausschließen zu müssen, bis dein verwirrter Verstand sich wieder in Ordnung befindet.“ Darauf ließ ich ihn stehen und ging weiter. Er aber kam mir nach, ergriff mich beim Arm und rief im zornigsten Ton:
„Was hast du gesprochen? Den Verstand willst du mir rauben und meinen Geist vernichten? Meinst du, weil deine Kraft so stark und deine Gewandtheit so überlegen ist, kannst du nicht bloß deine Feinde besiegen, sondern darfst auch sogar deine Freunde beleidigen? Zieh dein Messer und kämpf mit mir! Eine solche Kränkung kann nur mit Blut abgewaschen werden!“
Nicht nur seine Worte, sondern auch seine verzerrten Gesichtszüge sagten mir, daß sich der alte Cholerikus im Stadium wirklichen Grimmes befand. Er hatte sein Messer aus dem Gürtel gerissen und stand in der Stellung eines Kämpfers vor mir. Ich antwortete im ruhigsten Ton:
„Womit eine solche Beleidigung gesühnt werden muß, das kann nur ich bestimmen, nicht du darfst es, denn ich bin es, der beleidigt worden ist. Du nanntest mich einen Verräter. Gibt es für einen Krieger eine größere Beleidigung? Wenn ein Fremder mir dies Wort entgegenwirft, so schlage ich ihn nieder, daß er für immer liegenbleibt; tut es aber ein Freund, so muß ich annehmen, daß er plötzlich verrückt geworden ist. Fühlst du dich dadurch an deiner Ehre gekränkt, so kann ich nicht dafür, denn du allein bist es, welcher mir den Grund geliefert hat, so von dir zu denken.“
„Aber ich habe recht! Du willst den ‚Großen Mund‘ freilassen!“
„Aber ich habe auch eine Bedingung gestellt, welche er nicht erfüllen wird, und weiß also, daß ich ihn nicht loszulassen brauche.“
„Was hast du da mit ihm zu reden! Muß es mir nicht verdächtig vorkommen, daß du, während du meinst, wir schlafen, bei ihm stehst und mit ihm verhandelst!“
Da legte ich ihm die Hand so schwer auf die Achsel, daß ich ihn um einen halben Fuß niederdrückte, und sagte im ernstesten Ton:
„Wer hat den Häuptling der Mimbrenjos mir zum Wächter bestellt? Wenn Old Shatterhand wacht, können die anderen ruhig schlafen; das magst du dir merken. Daß du mich einen Verräter nennst, verzeihe ich dir, denn ich weiß, daß du dein Unrecht einsehen wirst. Und damit mag die Sache ein Ende haben.“
Ich wollte abermals gehen; er hielt mich wieder zurück und schrie:
„Nein, das ist nicht ihr Ende. Du hast mit mir zu kämpfen! Nimm dein Messer, sonst steche ich ohne Gegenwehr!“
Es versteht sich ganz von selbst, daß die Indianer, welche als Wilde einen leiseren Schlaf als zivilisierte Menschen besitzen, durch das Geschrei des Alten aufgeweckt worden waren. Winnetou war auch erwacht und kam herbei, um ihn zu fragen:
„Warum fordert mein roter Bruder Old Shatterhand zum Kampf auf?“
„Weil er mich beleidigt hat. Er sagte, mein Verstand sei verwirrt.“
„Warum sagte er das?“
„Weil ich ihn einen Verräter genannt habe.“
„Welchen Grund hatte der Häuptling der Mimbrenjos dazu?“
„Old Shatterhand stand bei dem ‚Großen Mund‘ und sprach mit ihm.“
„War es eine Verräterei, welche er mit ihm besprach?“
„Ja. Old Shatterhand hat selbst gesagt, daß er ihn heimlich loslassen will.“
„Und das ist der einzige Grund, den du hast? Ich sage dir, mein Bruder Shatterhand weiß stets, was er tut, und wenn alle roten, weißen und schwarzen Menschen der Erde zu Verrätern würden, er allein bliebe treu!“
„Das glaubst du,
Weitere Kostenlose Bücher