37 - Satan und Ischariot I
Geier‘ Aufklärung gab.
„Du – du bist es gewesen?!“ rief der Geier da betreten aus. „Das ist unmöglich! Ich habe die ‚Wolke‘ an der Stimme erkannt!“
„So bist du nicht nur blind, sondern auch halb taub gewesen, denn es war meine Stimme, welche du gehört hast. Du sagtest mir, was ich wissen wollte; dann schlich ich mich wieder fort.“
„Hört ihr es!“ rief die ‚Dunkle Wolke‘ aus. „Er hat den Häuptling der Apachen für mich gehalten und ihm unsere Geheimnisse mitgeteilt. Schande über ihn! Er muß aus dem Stamm gestoßen werden!“
„Du wirst ebenso wie er nicht mehr zu dem Stamm der Yumas gehören; denn ihr werdet unsere Kugeln schmecken, ehe wir von hinnen reiten; dann wird die Sonne in eure offenen Schädel scheinen, um zu sehen, daß niemals ein Gehirn drin gewesen ist!“
Die Drohung erschreckte die Yumas so, daß sie schwiegen, brachte aber dafür einen anderen, nämlich den Jurisconsulto, zum Reden. Seine Untergebenen hatten ihm den Standpunkt klargemacht; er wußte, daß wir die Yumas töten und dann fortreiten wollten, ohne ihn und seine Gefährten loszubinden; als er nun Winnetous letzte Worte hörte, glaubte er diese Zeit gekommen und wandte sich aus Angst in bittendem Ton an mich:
„Señor Shatterhand, ist es wirklich wahr, daß die Roten erschossen werden?“
„Ja“, antwortete ich. „Binnen einer Viertelstunde. Dann reiten wir fort.“
„Aber Sie werden uns doch vorher freilassen!“
„Nein. Ich habe Ihnen gesagt, daß uns das nicht einfallen kann.“
„Aber bedenken Sie, daß Sie dadurch zum Mörder an uns werden, mein wertester Señor!“
„Wie haben denn Sie gehandelt? Übrigens ersuche ich Sie, mich mit ihrem ‚wertesten Señor‘ zu verschonen. Ich verzichte auf einen Titel, den Sie vorher schon einem Yuma gegeben haben. Es scheint, Sie können nur dann höflich sein, wenn die Angst Sie dazu treibt.“
„Nein, nein! Ich kann höflich sein und werde höflich sein. Sie sollen kein unrechtes Wort mehr von uns hören, wenn Sie uns loslassen. Ich sehe ein, daß wir undankbar waren und ohne Sie verloren gewesen wären, und der Haziendero ist auch zu dieser Einsicht gekommen; nicht wahr, Don Timoteo?“
„Ja, Señor Shatterhand“, antwortete der Angeredete. „Ich habe während der letzten Nacht über alles nachgedacht und weiß nun, daß alles, was mir widerfahren ist, nicht geschehen wäre, wenn ich auf Ihre Warnungen gehört hätte.“
Er bat, und der Beamte bat. Die unter Fesseln und stehend am Baum verbrachte Nacht hatte sie mürbe gemacht. Das war es, was ich bezweckt hatte, und so fragte ich endlich in freundlicherem Ton als bisher:
„Aber was werden Sie denn tun, wenn ich Sie loslasse? Nach Ures zurückkehren und Anklage gegen mich erheben, wie Sie mir gedroht haben?“
„Nein, nein!“ antwortete der Haziendero. „Ich bin hier heraufgeritten, um Melton zu erwischen und alles, was er mir abgenommen hat, von ihm zurückzufordern. Diese Absicht kann ich in Ures nicht erreichen. Wenn Sie die Güte haben wollen, uns wieder loszubinden, werden wir mit Ihnen nach Almadén alto reiten, um dort den Betrüger zu bestrafen.“
„Ja, wir reiten mit Ihnen“, stimmte der Jurisconsulto bei. „Wir werden dem Halunken zur Rechenschaft ziehen und große Taten tun, indem wir mit den Yumas kämpfen!“
„Dann möchte ich Sie doch lieber hängen lassen, denn ich bin überzeugt, daß wir viel leichter und viel eher zum Ziel gelangen, wenn Sie nicht bei uns sind. Sie würden ja doch nur wieder Dummheiten machen.“
„Nein, nein! Wir versprechen Ihnen, klug wie die Schlangen zu sein und nichts zu tun, ohne vorher Ihre Erlaubnis eingeholt zu haben.“
„Wenn Sie den festen Willen haben, diesem Versprechen nachzukommen, so will ich mich erbitten lassen, doch muß vorher erst noch zweierlei geschehen. Sie unterzeichnen einige Zeilen, welche ich mir für den Gebrauchsfall in mein Buch notiere, des Inhalts, daß Sie nicht die mindeste Ursache haben, Winnetou und mir Vorwürfe zu machen, sondern uns als Ihren Lebensrettern vielmehr zu Dank verpflichtet sind.“
„Die Unterschrift sollen Sie haben. Und was ist das zweite?“
„Daß Sie sich auch an Winnetou wenden. Bisher haben Sie nur mich gebeten, Sie freizugeben; er hat aber darüber ebensogut zu bestimmen wie ich.“
Sie folgten dem Wink; der Apache antwortete ihnen nicht, sondern sagte, sich in wegwerfendem Ton an mich richtend: „Die Bleichgesichter sind wie Flöhe, welche keinen Nutzen bringen
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