37 - Satan und Ischariot I
sie leben zu lassen? Der ‚Schnelle Fisch‘ wird sich freuen, sie lebendig gefangen zu sehen.“
„Dunkle Wolke' ist nicht klug. Männer wie Old Shatterhand und Winnetou muß man töten, wenn man sicher sein will. Wer sie leben läßt, befindet sich in Gefahr. Der ‚Schnelle Fisch‘ konnte nicht gleich mit uns reiten; er wird am Vormittag mit fünf Kriegern kommen, um die weißen Gefangenen zu holen. Aber warum macht ‚Dunkle Wolke‘ nicht schneller! Es ist doch nicht schwer, einen Knoten zu lösen!“
„Der Knoten ist gelöst, aber ein anderer als derjenige, den der ‚Schwarze Geier‘ meint.“
Nach diesen Worten huschte Winnetou von ihm weg und kehrte zu uns zurück, um mir das Ergebnis unserer List mitzuteilen. Da unser Zweck erreicht war, blies der Mimbrenjo in die Asche, unter welcher noch einige Holzkohlen glimmten; ein Flämmchen erschien, erhielt Nahrung, und bald brannte das Feuer so hell wie vorher.
Winnetou lag wieder neben mir; wir taten so, als ob wir schliefen. Es machte uns Spaß zu sehen, mit welchen Augen der ‚Schwarze Geier‘ die ‚Dunkle Wolke‘ betrachtete; er sah, daß sie gefesselt war. Das mußte ihn befremden; doch nahm sein besorgtes Gesicht sehr bald den Ausdruck der Beruhigung an; weil er anscheinend eine Erklärung des Rätsels gefunden hatte; der eingeschlafene Mimbrenjo war erwacht und hatte sich bewegt; das hatte die ‚Dunkle Wolke‘ gehört und war schnell an ihren Platz zurückgekehrt und einstweilen wieder leicht in ihre Fesseln geschlüpft, um zunächst abzuwarten, ob der Wächter das Feuer wieder anblasen werde oder nicht.
Bald darauf schlief ich ein. Der Mimbrenjo hatte den ersten, Winnetou den zweiten und ich den dritten Teil der Nacht zu wachen. Als letzterer mich weckte, gab es doppeltes Licht; das Feuer brannte, und über uns stand der helle Mond. Mein erster Blick war auf den ‚Schwarzen Geier‘ gerichtet. Er stellte sich schlafend, schlief aber nicht, da er hoch immer auf die ‚Dunkle Wolke‘ wartete. Ich setzte mich so, wie der Mimbrenjo gesessen hatte, den Rücken nach der ‚Wolke‘ gerichtet und dabei mit stillem Vergnügen die wütenden Blicke beobachtend, welche der Geier aus seinen von Zeit zu Zeit sich öffnenden Augen auf den Genossen schleuderte, dessen Verhalten er sich nun längst nicht mehr erklären konnte.
Die Nacht verging; es wurde Tag, und ich weckte Winnetou und den Yumatöter. Der ‚Schwarze Geier‘ konnte seine Wut nicht mehr bemeistern. Sein Gesicht war verzerrt, und sein Auge schoß Blitze auf seine Kameraden, der sich während der Nacht nicht gerührt hatte. Winnetou sah es auch, trat zu ihm und sagte mit dem ihm eigentümlichen halben Lächeln:
„‚Schwarzer Geier‘ glaubt, ein großer Krieger zu sein, hat aber noch nicht gelernt, seine Gedanken zu verhüllen. Ich lese in seinem Gesicht, daß er auf ‚Dunkle Wolke‘ zornig ist.“
„Der Häuptling der Apachen erblickt Dinge, welche nicht vorhanden sind!“
„Was Winnetou erblickt, ist vorhanden. Warum hat ‚Dunkle Wolke‘ den Wächter nicht erschlagen? Drei haben gewacht und ‚Dunkler Wolke‘ dabei den Rücken zugekehrt. ‚Dunkle Wolke‘ konnte von hinten schlagen oder stechen und dann die anderen Yumas befreien.“
„Winnetou spricht, was ich nicht verstehe!“
„Der ‚Schwarze Geier‘ versteht mich recht wohl. ‚Dunkle Wolke‘ war ja bei ihm, um ihm die Riemen aufzuknüpfen, ließ ihn aber im Stich, um sich wieder schlafen zu legen. Ein guter Schlaf ist besser als die Freiheit!“
Da stieß der Geärgerte nun wütend hervor:
„‚Dunkle Wolke‘ ist kein Krieger, kein Mann, sondern ein altes Weib, welches vor jedem Frosch und jeder Kröte flieht!“
Das hörte der Beschimpfte. Er richtete sich so weit auf, wie seine Fesseln ihm erlaubten, und rief zu dem anderen hinüber:
„Was hat der ‚Schwarze Geier‘ gesagt? Ich sei ein altes Weib? Er selbst ist als das feigste alte Weib im ganzen Stamm bekannt. Wäre er ein Mann, so hätte er sich gestern abend nicht ergreifen lassen!“
„Du bist ja auch gefangen!“ entgegnete der andere. „Warum hast denn du dich fangen lassen? Und bei dir ist's nicht am Abend, sondern bei Tag gewesen! Welch eine Feigheit, sich von den Fesseln befreit und sie wieder angelegt zu haben, weil du dich fürchtetest!“
Und nun begann zwischen beiden ein heftiger Redekampf. Sie hätten einander ermordet, wenn sie nicht gefesselt gewesen wären. Winnetou machte dem Auftritt ein Ende, indem er dem ‚Schwarzen
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