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37 - Satan und Ischariot I

37 - Satan und Ischariot I

Titel: 37 - Satan und Ischariot I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wußte, daß jemand dort steckte, konnte die Hand gar nicht gesehen haben.
    Nun stand es bei mir fest, jetzt zu entfliehen. In Zeit von einer Viertel-, höchstens einer halben Stunde mußte ich frei oder eine Leiche sein. In diesem Bewußtsein gab ich die Antwort, die sonst sehr lächerlich gewesen wäre:
    „Ich verachte dieses Quaken nicht, sondern freue mich darüber. Kennst du die Stimme der Tiere?“
    „Ich kenne sie alle.“
    „Ich meine es anders, nämlich so, ob du die Sprache der Tiere verstehst?“
    „Kein Mensch versteht sie!“
    „Ich verstehe sie doch. Soll ich dir sagen, was der Schrei des Frosches dir mitteilen will?“
    „Sage es nur immer!“ antwortete er, indem er verächtlich lachte.
    „Der Frosch teilt dir mit, daß du heute einen Verlust haben und infolgedessen auf dem Weg, den du hierhergekommen bist, wieder zurückreiten wirst.“
    „Der große Geist hat dir die Sinne verwirrt!“
    „Nein, sondern er hat mir die Sinne geöffnet und geschärft. Ich höre Schüsse fallen; ich höre den Hufschlag eurer Pferde und das Wutgeheul eurer Krieger. Ihr werdet mit zwei Menschen kämpfen, einem großen und einem kleinen, und sie nicht besiegen können. Schande wird über euch ergehen, und diejenigen, welche ihr verhöhntet, werden euch verlachen!“
    Er öffnete schon den Mund zu einer wütenden Antwort, besann sich aber, nahm die Arme von der Brust, ließ sie fallen und musterte mein Gesicht mit einem sehr ernsten, bedenklichen Blick. Dann sagte er:
    „Verstehe ich dich recht? Old Shatterhand spricht nie wie ein Unsinniger. Seine Reden haben Sinn, selbst wenn man sie nicht versteht. Was meinst du mit deinen Worten? Von welcher Schande redest du?“
    „Denke nach, so wirst du es finden. Und wenn du es nicht findest, so warte, dann wird es bald kommen!“
    Er dachte so angestrengt nach, daß er dabei die Augen verdrehte; dann rief er aus:
    „Ich hab's gefunden; ich weiß es! Eine Schande hier, und dann reiten wir zurück? Du glaubst, entkommen zu können, und meinst, daß wir dich verfolgen werden bis an das Tal jenseits der Hazienda, wo der junge Hund der Mimbrenjos noch immer auf dich wartet. Du denkst ferner, daß wir mit dir und mit ihm dort kämpfen werden, ohne euch besiegen zu können. Jetzt erst glaube ich im Ernst, daß der große Geist dir den Verstand verwirrt hat. Du ersehnst die Freiheit und träumst mit offenen Augen von ihr; ja, du redest von ihr, ohne dir dessen, was du sagst, eigentlich bewußt zu werden. Dein Verstand hat gelitten und – – –“
    Er hielt plötzlich mitten in seiner Rede inne; es war ihm ein Gedanke gekommen, nämlich der, welchen er bereits vorhin ausgesprochen hatte: Old Shatterhand könne nicht sinnlos reden. Er kam zu mir heran und untersuchte meine Fesseln mit seinen eigenen Augen und Händen. Als er sie in Ordnung fand, setzte er sich an seinen Platz zurück und meinte, indem er ein sehr überlegenes Lächeln zeigte:
    „Jetzt weiß ich, was es ist: Old Shatterhand will mich zornig machen, um dann über mich wie über ein Kind lachen zu können; aber es wird ihm nicht gelingen. Er will uns unsicher machen, damit wir in dieser Unsicherheit einen Fehler begehen. Ja, er tut nichts ohne Überlegung, aber bei uns wird er sich verrechnet haben!“
    „Uff, uff!“ riefen die Wächter zum Zeichen, daß sie ihm beistimmten. Er fuhr, zu mir gewendet, fort:
    „Old Shatterhand hat meinen Sohn, den ‚Kleinen Mund‘, getötet und wird dafür sterben müssen. Aber er ist ein tapferer Mann, und ich habe gehört, daß er stets ein Freund der roten Männer war; darum will ich ihm eine Gnade gewähren und ihm erlauben, diejenige Todesart, welche er sterben will, selbst zu wählen. Will er erschossen sein?“
    Ich wußte, daß seine Worte, wie sich auch bald zeigte, Ironie enthielten und antwortete:
    „Nein.“
    Er fragte nach der Reihe, ob ich erstochen, erschlagen, verbrannt, vergiftet oder erstickt werden wolle, und ich antwortete jedesmal mit einem entschiedenen Nein.
    „Er antwortete nur mit nein; er mag mir aber doch selbst sagen, für welche Todesart er sich entschieden hat!“
    „Ich möchte neunmal zehn oder zehnmal zehn Jahre alt werden und dann ruhig einschlafen, um jenseits des Lebens wieder zu erwachen“, sagte ich.
    „Das ist der Tod der Feiglinge; Old Shatterhand aber ist eines anderen Todes wert. Ein solcher Mann müßte jede Art des Todes kennenlernen, eine nach der anderen, ohne mit der Wimper zu zucken, und diesen Vorzug, diesen Ruhm soll

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