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37 - Satan und Ischariot I

37 - Satan und Ischariot I

Titel: 37 - Satan und Ischariot I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ahnung, daß heute die Entscheidung kommen werde. Beim Mittagslager war ich noch nie eingewickelt worden, und die Beschaffenheit der Gegend erlaubte es meinem Helfer, sich so nahe zu halten, wie ich nur wünschen konnte.
    Kurz bevor die Sonne am höchsten stand, kamen wir durch eine rauhe, vielgewundene Schlucht, welche sich ganz plötzlich auf einen grünen, wiesigen Plan öffnete; auch Gesträuch stand da. Das Vieh war nicht zu halten; es stürmte aus der Schlucht auf den verlockenden Plan und hatte sich in wenigen Minuten so zerstreut, daß die Reiter ihre liebe Not hatten, es wieder zusammenzubringen.
    Der Häuptling hatte meinen Hütern sogleich den Befehl gegeben, mich loszubinden, natürlich nur vom Pferd, und auf die Erde zu legen. Sie setzten sich neben mich nieder. Da wir dann den Mittelpunkt des Lagers bildeten, so kam dasselbe so nahe dem Ausgang der Schlucht zu liegen, daß ich denselben mit vielleicht vierhundert Schritten erreichen konnte.
    Aus den Befehlen, welche der Häuptling erteilte, entnahm ich, daß er heute nicht weiter wollte. Die geraubten Herden waren durch die Märsche während der letzten vier Tage so angegriffen worden, daß man ihnen wenigstens bis morgen früh Ruhe gönnen mußte, wenn sie den weiteren Teil des Weges aushalten sollten. Dem längeren Aufenthalt angemessen, wurden, was während der vorigen Tage nicht geschehen war, die Zelte darauf aufgeschlagen. Während diese Arbeit ausgeführt wurde und man die sonstigen Vorbereitungen traf, kam der Häuptling herbei und setzte sich vor mir nieder. Eben als er Platz genommen hatte, ertönte der erste Schrei des Grasfrosches, ohne, daß einer der Indianer darauf achtete.
    Der ‚Große Mund‘ legte die Füße übereinander, kreuzte die Arme über der Brust und heftete seinen stechenden Blick auf mein Angesicht. Ich sah ihm an, daß er jetzt reden werde, während er mich bisher dessen nicht gewürdigt hatte. Die fünf Wächter blickten zu Boden; sie sahen weder ihn noch mich an; das war die ehrfurchtsvolle Erwartung des Augenblicks, an welcher sich ihr Häuptling wenigstens in Worten mit Old Shatterhand messen werde. Da ein trotziges Schweigen meinen Zustand nur verschlimmern konnte, da ferner ein übel angebrachter Stolz hier von Dummheit gewesen wäre und da es endlich meinem Charakter widerstrebte, mich von diesem Mann, wenn auch nur in Worten, werfen zu lassen, so nahm ich mir vor, ihm Rede und Antwort zu stehen. Er begann mit der nicht sehr geistreichen Frage:
    „Du bist ein Bleichgesicht?“
    „Ja“, antwortete ich. „Oder sind deine Augen so schwach, daß du mich für einen Indianer hältst?“
    Er fuhr, ohne auf meine Frage zu achten, fort:
    „Und nennst dich Old Shatterhand?“
    „Nicht ich nenne mich so, sondern berühmte weiße und rote Krieger und Häuptlinge haben mir diesen Namen gegeben.“
    „Sie taten Unrecht daran. Der Name ist eine Lüge. Deine Hand ist gebunden; sie vermag keinen Käfer, keinen Wurm zu zerschmettern und noch viel weniger einen Menschen. Sieh her, wie ich mich vor dir fürchte!“
    Er spuckte mich, als er diese Worte gesagt hatte, an. Ich antwortete in gleichmütigem Ton:
    „Wenn mein Name wirklich eine Lüge ist, so enthält der deinige desto mehr Wahrheit. Du wirst der ‚Große Mund‘ genannt und besitzt auch wirklich ein so großes Maul, daß es seinesgleichen sucht; aber an deiner Stelle würde ich nicht stolz darauf sein. Es ist keine Kunst und keine Heldentat, einen Gefangenen, welcher vollständig gefesselt ist, anzuspeien, weil er sich nicht rächen kann. Zeige mir doch lieber den wahren Mut: Nimm mir die Fesseln ab und kämpfe mit mir! Dann wird es sich zeigen, wer den anderen zerschmettert, du mich oder ich dich!“
    „Schweig!“ donnerte er mich an. „Du gleichst dem Frosch, welcher da hinten schreit. Man verachtet sein Quaken.“
    Es war nämlich soeben der zweite Ruf des Grasfrosches erklungen. Die Worte des Häuptlings gaben mir die Gelegenheit, offen nach dem Ausgang der Schlucht blicken zu dürfen, ohne befürchten zu müssen, das Mißtrauen meiner Wächter zu erwecken. Der Schrei klang so nahe, daß ich annahm, mein kleiner Mimbrenjo müsse gleich hinter dem ersten vorspringenden Felsen der Schlucht stecken. Ich hob also noch mehr den Kopf, um ihn sehen zu lassen, daß ich hinschaute, und da sah ich wirklich eine kleine, braune Knabenhand, welche für einen Augenblick hinter der Kante des Gesteins hervorgestreckt wurde und dann schnell wieder verschwand. Wer nicht

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