37 - Satan und Ischariot I
Heft nur ein klein wenig hervorsteht. Das Gras ist dicht; man wird es also nicht sehen.“
„Kannst du es denn, obgleich du gefesselt bist, herausziehen und einstecken?“
„Ja. Und nun entferne dich! Wir haben schon zu lange gesprochen, und die Ablösung kann jeden Augenblick vor sich gehen.“
„Ich gehorche. Vorher aber erleichtere mir mein Herz vollends! Ich haben einen großen, einen unverzeihlichen Fehler begangen, und du bist großmütig genug gewesen, mir kein Wort, keine Silbe des Vorwurfes zu sagen. Wird deine Seele mir die Verzeihung versagen?“
„Nein. Du bist zu kühn gewesen, als du dich den Yumas so sehr nähertest, daß sie dich sehen konnten, aber dieser Kühnheit habe ich es zu verdanken, daß ich dich jetzt bei mir sehe. Wir sind quitt; ich zürne dir nicht.“
„So sage ich dir Dank. Mein Leben gehört dir, und an jedem meiner Tage werde ich mit Stolz daran denken, daß Old Shatterhand zu mir gesagt hat, er sei quitt mit mir.“
Er stieß das Messer neben mir in die Erde und zog sich dann zurück, so leise, daß nicht einmal ich es hörte, obgleich ich scharf lauschte. Nach einiger Zeit ertönte aus der Ferne der dumpfe, breite Schrei des Grasfrosches, der mir sagen sollte, daß dem kleinen Mimbrenjo der Rückzug glücklich gelungen sei.
Jetzt wußte ich, daß mir die Flucht auch gelingen würde. Diese Überzeugung benahm mir alle Sorge, und ich schlief so ruhig wieder ein, als ob ich mich bereits wieder in Freiheit befände. Der Lärm des Lagerlebens weckte mich am Morgen, als es schon hell geworden war. Meine Hüter banden die Decke von mir los, da ihnen diese Vorsichtsmaßregel jetzt, am Tage, überflüssig zu sein schien. Ich tat, als ob ich noch schläfrig sei, und wälzte mich auf die Seite, wobei ich mich von ihnen unbemerkt ein Stück zurückschob, so daß ich das Messer, welches sich in der Ellenbogengegend befunden hatte, wenn ich mich vollends umwendete, mit den Händen ergreifen konnte.
Wie schon erwähnt, waren mir die Hände jetzt nicht mehr so fest wie vorher zusammengeschnürt; ich konnte die Finger bewegen. Nach einiger Zeit wälzte ich mich abermals herum, so daß ich auf dem Bauch lag. Meine vorn befindlichen Finger tasteten nach dem Messer; ich mußte wohl zehn Minuten lang suchen, ehe ich das höchstens zwei Zoll lange Ende des Griffes, welches aus dem mit Gras bedeckten Boden ragte, fühlte. Und dann dauerte es noch länger, ehe ich das Messer aus der Erde brachte, denn weil ich meinen Körper nicht lüften, nicht erheben durfte, so konnte ich es nicht gerade herausziehen. Als mir dies gelungen war, brauchte ich wieder eine Weile, bevor es mir gelang, es mit den unbehilflichen Fingerspitzen unter die Weste zu schieben und ihm dort einen solchen Halt, eine solche Lage zu geben, daß es nicht hervorrutschte und überhaupt nicht bemerkt werden konnte.
Eben als ich damit fertig war, glücklicherweise nicht eher, wendete man mich um, um mir die Hände wieder freizugeben, weil ich essen sollte. Es wurde überhaupt große Morgenspeisung gehalten, weil, wie ich später sah, der Aufbruch vor sich gehen sollte. Die Tiere wurden zusammen- und dann weitergetrieben. Die roten Krieger, welche dazu nicht gebraucht wurden, blieben noch eine Weile am Platz, weil sie die langsam wandernde Herde bald einholen konnten. Nach vielleicht zwei Stunden trennten sie sich in zwei Abteilungen. Die kleinere blieb zurück, um die anderen Gefangenen zu bewachen und sie, wie ich später hörte, erst nach Verlauf von zwei Tagen freizulassen. Es geschah das, damit der Haziendero nicht Zeit gewinnen könne, Hilfe zu holen und die Yumas zu ereilen, ehe sie sich in Sicherheit befanden.
Die größere Abteilung, welche von dem Häuptling angeführt wurde, folgte in langsamem Ritt den vorausgeschickten Tieren nach. Ich befand mich, auf ein Pferd gefesselt, bei ihr, von fünf neuen Wächtern umringt. Man wechselte also, damit die auf mich gerichtete Aufmerksamkeit nicht ermüden solle. Als wir uns in Bewegung setzten, hörte ich die Stimme des Mormonen hinter uns dreinrufen:
„Farewell, Master! Grüßet mir den Teufel, wenn er Euch in einigen Tagen in der Hölle guten Morgen sagt!“
Sein auf die Hazienda gerichteter Teufelsstreich war ihm gelungen, und er hegte die Überzeugung, von mir befreit zu sein.
DRITTES KAPITEL
Winnetou
Unser Zug nahm eine mir sehr gut bekannte Richtung, nämlich diejenige nach dem Wald der Lebenseiche. Das war sehr hoffnungerweckend für mich, denn wenn diese Richtung
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