38 - Satan und Ischariot II
mißbrauchen und Ihren Anbeter losbinden.“
Sie zögerte und sagte:
„Denken Sie ja nicht, daß Sie straflos tun können, was Sie wollen! Die Yumas werden ihren Häuptling rächen.“
„Fällt ihnen nicht ein. Sie wissen nicht, daß ich es bin, der ihn verschwinden läßt.“
„Sie wissen aber doch, daß er jetzt bei Ihnen ist. Die Wächter haben ihn zu Ihnen gehen sehen.“
„Sie werden ihn aber wieder fortgehen sehen. Es ist finster droben, so daß ich es leicht bewerkstelligen kann, daß sie mich für ihn halten; aber das ist gar nicht notwendig. Ich habe die Wächter, um jetzt herabgelassen zu werden, wecken müssen. Sie werden nachher weiterschlafen und müssen es glauben, wenn ich behaupte, daß der Häuptling inzwischen fortgegangen ist. Also her mit den Händen! Ich sage das zum letztenmal!“
Er hatte einen Riemen in der Hand. Ich war wirklich neugierig darauf, was sie tun würde. Sie wußte, daß ich hier war und ihr helfen würde. Ebenso wußte sie aber auch, daß ich sie, wenn sie sich binden ließ, dann befreien würde. Mochte sie ihm gehorchen oder mich rufen, mir war es gleich. Sie reichte ihm die beiden Hände hin und sagte:
„Da, binden Sie mich! Ich will nicht mit Ihnen ringen, da es mir graut, Sie zu berühren. Aber der Strafe werden Sie nicht entgehen!“
„Wollen Sie Prophetin sein, Judith? Das ist ein schlechtes Geschäft, denn die jetzige Menschheit besitzt keinen Glauben.“
Er band ihr die Hände auf den Rücken, und schob sie in den dunklen Raum, in welchem sie gesteckt hatte. Sie ließ es ruhig geschehen. Sodann schleifte er den Indianer auch hinein, machte die Tür zu und schob den Riegel vor. Nun blieb er eine Zeitlang stehen und hielt das Ohr an die Tür, um zu lauschen. Der Schein seiner Laterne fiel auch auf sein Gesicht. Der Ausdruck desselben war ein teuflischer. Dann stieg er in den Kasten und gab mit einer herabhängenden Schnur ein Zeichen nach oben, auf welches man den Förderkasten aufwärts zu winden begann. Das Licht verschwand und mit demselben auch das Geräusch, welches der Kasten verursachte, indem er an die Wände des Schachtes stieß.
Ich hatte den Menschen für vorsichtig und klüger gehalten, als er sich jetzt zeigte. Mir an seiner Stelle wäre Judiths gegenwärtiges Verhalten aufgefallen; es hätte mich mißtrauisch gemacht; ich hätte mir sogleich gesagt, daß irgendein Grund für sie vorhanden sei, seinen jetzigen Besuch in solcher Ruhe hinzunehmen, und ich wäre bemüht gewesen, den Grund kennenzulernen. Daß dies bei ihm nicht stattfand, ließ seinen Scharfsinn in keinem rühmlichen Licht erscheinen.
Mein Mimbrenjo hatte, seit wir durch die Mauer gekrochen waren, kein Wort gesagt; jetzt aber wunderte er sich über mein Verhalten so sehr, daß er nicht zu schweigen vermochte, sondern, als wir uns hinter den Hölzern erhoben, zu mir sagte:
„Der Weiße, den wir haben wollen, war da. Wir konnten ihn ergreifen. Warum hat Old Shatterhand ihn fortgelassen?“
„Weil er mir sicher genug ist. Später wird sein Schreck ein doppelter sein.“
Ich steckte das Licht wieder an und ging wieder zu der Tür, um sie zu öffnen. Die Jüdin hatte dicht hinter derselben gestanden, um zu horchen. Sie trat rasch heraus, holte tief Atem und sagte:
„Gott sei Dank! Es war mir wirklich angst, ob Sie kommen würden!“
„Was ich verspreche, halte ich. Haben Sie mit dem Häuptling gesprochen?“
„Noch kein Wort. Ich konnte vor Sorge nicht reden. Sie haben gehört, was Melton sagte?“
„Alles.“
„Wie leicht hätte er Sie entdecken können. Dann befände ich mich wieder in seiner Gewalt!“
„Nein, sondern er hätte sich in der meinigen befunden. Wenn Sie noch nicht mit der ‚Listigen Schlange‘ gesprochen haben, so werde ich es ihm erklären. Wie gut, daß er von Melton überwältigt worden ist! Der Bösewicht hat mir dadurch einen Trumpf in die Hand gespielt, mit dem ich das Spiel gewinnen werde.“
Ich trat zu dem Indianer und durchschnitt seine Fesseln. Er richtete sich schnell auf und fragte die Jüdin:
„Wer ist das Bleichgesicht, welches sich in unserem Schacht befindet und doch nicht zu uns gehört?“
„Mein roter Bruder wird sogleich erfahren, wer ich bin“, antwortete ich an des Mädchens Stelle. „Er hat nicht verstehen können, was Melton zu der weißen Tochter sagte, denn es wurde in einer ihm fremden Sprache gesprochen. Darum frage ich ihn, ob er weiß, was Melton mit ihm vor hat?“
„Ich weiß es. Ich sollte sterben; er wollte
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