38 - Satan und Ischariot II
Desto lebhafter ging es am frühen Morgen her. Es wurde zum Aufbruch gerüstet, und als der Zug sich in Bewegung setzte, befand sich diesmal kein einziger gefesselter Mensch bei demselben.
Es ging schneller, als man bei der Schwerfälligkeit der Wagen hätte meinen sollen, da mit Hilfe von Lassos an jedem derselben mehrere Reiter ihre Pferde vorspannten. Dazu kam noch der Umstand, daß wir durch eine Wüste kamen, welche eben war und uns durch keinen Strauch oder Baum den Weg verlegte. Wir fuhren sehr oft im Galopp und kamen noch vor Abend am Yumalager vor Almadén an, wo wir von den Weißen wie von den Roten lebhaft bewillkommnet wurden.
Die durstig gewordenen Tiere mußten getränkt werden; zu fressen konnten wir ihnen aber heute leider nichts bieten. Dazu eignete sich am besten die Nebenhöhle, welche genug Wasser für alle enthielt. Der kleine Mimbrenjo mußte die Yumas hinführen, und diese staunten nicht wenig, als sie nach Wegräumung des Gerölles die Höhle sahen, von der sie keine Ahnung hatten, und dazu hörten, daß wir durch dieselbe in den Schacht gekommen seien.
Gleich nach unserer Ankunft trug sich ein Ereignis zu, welches von traurigen Folgen begleitet war. In den ersten Augenblicken bewegte sich alles durcheinander, so daß der einzelne nicht in die Augen fiel; dann aber, als sich ruhigere Gruppen gebildet hatten, hörte ich die Stimme Meltons, welcher dem entfernt von ihm liegenden Weller zurief:
„Weller, dort ist der Player, und nicht gefesselt wie wir! Wie geht das zu?“
„Wo?“ fragte der Angerufene. „Ah, dort! Ich sehe ihn. Sollte der Schuft den Verräter gemacht haben?“
„Natürlich! Anders kann es nicht sein, da er sonst gebunden wäre, wie wir gebunden sind. Hätte ich meine Hände und Füße frei!“
„Ja, hätten wir sie frei, wir würden ihm den Judasgroschen auszahlen. Player, he, Player!“
„Was gibt es?“ fragte der Genannte, als er den Ruf hörte.
„Komm doch einmal her! Ich muß dich um etwas fragen.“
Noch ein anderer hörte den Ruf, nämlich der Herkules.
„Ah, der alte Weller!“ hörte ich ihn sagen. „Der ist mein Mann!“
Er folgte dem Player nach der Stelle, wo Weller lag. Ich ging hinter ihm her, um möglicherweise eine Übereilung zu verhüten. Der Riese schien den Kolbenhieb des jungen Weller überwunden zu haben; aber ob er den Wunsch nach Rache ebenso überwinden werde, das war eine andere Frage. Ich hätte den nun zwischen Weller und dem Player stattfindenden Wortwechsel nicht zugeben sollen und auch leicht verhindern können, aber ich dachte, vielleicht noch etwas erfahren zu können, und es war ganz so, als ob das, was nun geschah, nicht anders hätte kommen können.
„Wie kommst denn du hierher?“ fragte Weller in einem keineswegs feindlichen Ton.
„Ich wurde von Old Shatterhand überrumpelt und gefangengenommen.“
„So bist du sehr unvorsichtig gewesen! Dir scheint es aber besser zu gehen als mir und Melton, denn du bist frei. Wie kommt das? Wahrscheinlich hast du dich bei Old Shatterhand und Winnetou eingeschmeichelt. Wie?“
Der Gefragte überlegte einige Augenblicke, ob er die Wahrheit zugeben oder leugnen solle, und antwortete dann:
„Warum sollte ich nicht! Da wir Old Shatterhand und den Apachen gegen uns hatten, so war fast mit Sicherheit vorauszusehen, daß wir den kürzeren ziehen würden; sodann hatte ich, wie ich dir heute sagen will, gar wohl durchschaut, daß ihr beiden den Löwenanteil für euch behalten und mich mit einer Wenigkeit abfinden würdet, und endlich – – –“
„Nun, endlich? Was weiter?“ fragte Weller, als der andere einen Augenblick innehielt.
„Endlich“, fuhr dieser fort, „gingen mir auch die armen Teufel im Kopf herum, welche so schmählich da unten im Schacht verkommen sollten. Sie taten mir leid, und ich begann, einzusehen, daß das, was wir an ihnen verübt hatten und noch verüben wollten, ein sehr schweres Verbrechen sei.“
„Ah, so bist du wohl ganz plötzlich ein Betbruder geworden?“
„Das nicht, aber vielleicht werde ich es noch, um das, was ich mit euch begangen habe, unserem Herrgott abzubitten.“
„Kannst du sagen, was man mit uns vornehmen wird?“
„Ich befürchte, daß ihr keine Hoffnung habt, jemals wieder freizukommen.“
„Eigentlich hast du dasselbe Schicksal verdient wie wir, dennoch aber freut es mich, daß wenigstens einer von uns so gut gefahren ist. Wie steht es denn mit meinem Sohn? Ich habe euch gesucht, um zu erfahren, was mit ihm
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