39 - Satan und Ischariot III
ja schon vorher naß gewesen, und tiefer konnte es unmöglich dringen.
SECHSTES KAPITEL
Gerettete Millionen
Der Ritt, den wir vorhatten, hieß unseren Pferden sehr viel zumuten; aber sie konnten es nicht besser haben als ihre Herren. Sie hatten im Pueblo ausruhen können, während wir gezwungen gewesen waren, wach zu bleiben. Dann hatten wir unterwegs am Berg, wo wir von den Indianern der Jüdin überfallen werden sollten, nur ganz wenig geschlafen, heute wieder gar nicht, und ob wir bei der Eile, welche notwendig war, in nächster Nacht zur Ruhe kommen würden, das fragte sich auch noch. Der Regen hatte sein Unangenehmes, doch auch seinen Nutzen. Er durchnässte uns, hielt aber die Pferde frisch; die Reiter fühlten sich freilich etwas zu sehr erfrischt und befanden sich nicht so recht bei guter Stimmung. Wenn die Witterung schon auf den Stubenhocker einen solchen Einfluß ausübt, daß er bei schönem Wetter sich in guter, bei schlechtem Wetter aber in weniger angenehmer Laune befindet, so kann man sich denken, daß Leute, die in der Wildnis direkt dem Sturm und Regen ausgesetzt sind, diesen Einfluß auch wohl kennenlernen. Darum ritten wir still und ziemlich verdrossen hinter dem Apachen her, welcher trotz des Regens, bei dem man während der Nacht nicht fünf Schritte weit zu sehen vermochte, nicht ein einziges Mal anhielt, um sich zu orientieren. Um mich zu erinnern, daß er sich überhaupt einmal verirrt habe, wenn er gesagt hatte, daß er die Gegend kenne, hätte ich wohl sehr lange und doch vergeblich nachdenken können.
Als es Tag wurde, befanden wir uns auf einer weiten Prärie. Winnetou deutete nach links, nach Osten, und sagte:
„Dort drüben gibt es, doch eine halbe Stunde entfernt, den Weg, welchen wir gestern geritten sind, ehe wir unseren Bruder Dunker trafen. Nun ist es hell, und wir wollen schneller reiten.“
Wir taten dies nicht übermäßig, nämlich so, daß wir in einer Stunde eine gute deutsche Meile zurücklegten. Zu unserer Genugtuung ging am Vormittag der Wind zur Ruhe; der Regen hörte auf; die Wolken zerteilten sich und wurden von der Sonne dann ganz vertrieben. Die Wärme tat uns wohl; der Regen hatte seine Schuldigkeit getan, indem unsere Spuren von ihm ausgelöscht worden waren. Noch lange vor der Mittagzeit deutete Winnetou abermals nach Osten, wo wir nichts sahen, und sagte:
„Eine Stunde von hier liegt der Wald, an dessen Rand wir den Häuptling der Nijoras trafen. Meine Brüder werden zugeben, daß wir sehr gut geritten sind.“
Der östlich von uns gelegene Wald schien sich nach Süden herumzuziehen, denn wir sahen ihn bald darauf in dieser Richtung vor uns liegen. Wir erreichten ihn, ritten wohl bis Mittag durch und hielten am jenseitigen Rand an, um die Pferde verschnaufen zu lassen. Nachdem sie fast zwei Stunden lang ausgeruht und gegrast hatten, setzten wir den Ritt fort, doch nicht mehr in der bisherigen Richtung, denn Winnetou wendete sich südöstlich. Über die Ursache befragt, antwortete er:
„Wir sind weit vorangekommen und haben nun nicht mehr zu befürchten, daß die Mogollons heute auf unsere Spur treffen werden; darum lenke ich jetzt nach dem Weg hinüber ein, den sie einschlagen müssen, denn es kann von Nutzen sein, daß meine Brüder ihn kennenlernen.“
Wenn hier das Wort Weg gebraucht wird, so ist natürlich niemals ein gebahnter Pfad gemeint. Wir kamen jetzt über eine Hochsteppe, auf welcher es viel Sand und Gestein und nur wenig Gras gab. Zuweilen gelangten wir an eine Höhe, welche wir umritten; wirkliche Berge waren nicht zu sehen, obgleich wir nordwestlich das Mogollongebirge und nordöstlich die Sierra Bianca im Rücken hatten. Wir bewegten uns eben, ohne das wir es bemerkten, abwärts, dem Gebiet des obern Gila zu, ohne aber einen Wasserlauf anzutreffen.
Erst gegen Abend deutete eine kleine Hochprärie an, daß wir in eine feuchtere Gegend gelangten. Bald sahen wir einzelnes Buschwerk; am Fuß einer Anhöhe rieselte Wasser aus der Erde, und es gab da einen Platz, welcher gar nicht geeigneter zum Lagern sein konnte.
„Halten wir hier?“ fragte Emery.
„Nein“, antwortete Winnetou.
„Aber wir können doch die Pferde tränken!“
„Das wird Winnetou nicht verwehren; dann aber reiten wir weiter, um noch vor Einbruch der Dunkelheit durch den Wald zu kommen, welchen ihr dort im Süden liegen seht – uff! Schnell von den Pferden herab.“
Da er von dem südwärts liegenden Wald sprach, hatte er, geradeso wie wir, seine Augen dorthin
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