39 - Satan und Ischariot III
zu der ernsten, würdevollen Schweigsamkeit der roten Krieger verpflichtet. Da es auch jetzt so manches gab, was wir erfahren mußten, so unterbrach ich nach einiger Zeit die Stille, indem ich mich an den Unterhäuptling der Nijoras wendete:
„Mein Bruder Winnetou hat das ‚Scharfe Auge‘ vorhin einen tapferen Krieger genannt. Ich weiß, daß alle Nijoras tapfer sind; darum ist es gewiß, daß sie die Mogollons besiegen werden. Sind sie noch immer damit beschäftigt, ihre Medizinen herzustellen?“
„Nein“, antwortete er. „Die Feierlichkeiten wurden sofort beendet, als der Bote erschien, welchen meine berühmten Brüder zu uns sandten.“
„Das ist recht. Die Herstellung der Medizinen erfordert lange Zeit, und die Zeit, welche uns zugemessen ist, ist kurz und wertvoll, denn die Mogollons werden heute abend schon an der ‚Quelle des Schattens‘ sein. Kennt ‚Scharfes Auge‘ die Botschaft, welche wir seinem Bruder, dem Häuptling, gesandt haben?“
„Ja.“
„Wird der Häuptling danach handeln?“
„Er weiß, daß Winnetou und Shatterhand große und kluge Krieger sind; darum wird er tun, was sie ihm vorgeschlagen haben.“
„Wann wird er auf der ‚Platte des Cañons‘ eintreffen?“
„Morgen früh, sobald es Tag geworden ist.“
„Wenn er das tut, werden alle Feinde in seine Hand fallen.“
„Wir wissen es. Der Hund von Mogollon, welcher sich nicht ergibt, wird erschossen.“
„Und was geschieht mit denen, welche sich ergeben?“
„Sie kommen an den Marterpfahl.“
„Wie viele Pfähle werden meine Brüder da brauchen? Es sind mehr als dreihundert Mogollons, mit denen wir es zu tun haben. Will der ‚Schnelle Pfeil‘ wirklich ein so großes Morden über diesen Stamm ergehen lassen?“
Der Unterhäuptling blickte finster vor sich hin. Er hätte lieber gar nicht geantwortet; aber da das eine Beleidigung für mich gewesen wäre, sagte er:
„Die Mogollons sind unsere Feinde! Haben sie etwas anderes verdient? Wir standen in Frieden mit ihnen; wir ritten zu ihnen, und sie kamen zu uns. Da plötzlich gruben sie die Beile des Krieges aus, ohne daß wir sie beleidigt oder ihnen sonst etwas getan hatten.“
„Wenn das geschieht, was mein Bruder sagt, wird man die Platte ‚Platte des Mordens‘ nennen können. Hat mein Bruder jemals gehört, daß Winnetou und Old Shatterhand Freunde vom Blutvergießen sind?“
„Das weiß jeder rote und jeder weiße Mann, der einmal von diesen beiden großen Kriegern gehört hat.“
„So wird man dir auch gesagt haben, daß wir niemals unseren Arm und unsere Hilfe einem Stamm leihen, welcher die Absicht hat, grausam mit den gefangenen Feinden umzugehen. Was den Kampf auf der ‚Platte des Cañons‘ betrifft, so werde ich darüber mit deinem Bruder, dem ‚Schnellen Pfeil‘ sprechen; mit dir aber muß ich jetzt reden von dem Überfall, welchen wir gegenwärtig beabsichtigen. Es werden fünfzig Mogollons nach dem ‚Tiefen Wasser‘ kommen; bei diesen befinden sich ein weißer Mann, eine weiße Frau und einige Yuma-Indianer, welche nicht eure Feinde sind. Willst du mir helfen, diese Leute festzunehmen?“
„Old Shatterhand wünscht es, und so mag es geschehen. Aber die Mogollons werden unser sein?“
„Unter der Bedingung, daß ihr sie nicht tötet, wenn es nicht notwendig ist. Ich will heute der Anführer sein; denn ich habe mit euerm Häuptling die Pfeife des Friedens geraucht; ich bin sein Bruder; ich habe euch von ihm erbeten, und er hat euch mir gesandt; darum fordere ich, daß ihr tut, was ich für richtig halte. Nur unter dieser Bedingung werde ich euch die fünfzig Mogollons, welche wir erwarten, überlassen.“
Er zog die Stirn in Falten, hielt den Blick gesenkt und antwortete nicht. Meine Forderung war weder nach seinem Willen, noch nach seiner Ansicht über das, was recht und billig ist.
„Warum schweigt mein Bruder? Warum sagt er nichts?“ drängte ich ihn.
Da machte er eine Bewegung, als ob er etwas von sich verscheuchen wolle, und fragte:
„Da Old Shatterhand es ehrlich mit den Kriegern der Nijoras meint, so will auch ich ehrlich sein und dir sagen, daß mein Bruder, der Häuptling, mir geraten hat, dir und Winnetou, dem großen Apachen, zu gehorchen.“
„So werdet ihr heute und morgen zwei große Siege gewinnen, ohne daß ihr eure Krieger dabei opfert. Die Klugheit ist stärker als die Gewalt, und die Milde mächtiger als der Mord.“
„Ist aber Winnetou damit einverstanden? Ich soll nicht bloß dir, sondern auch ihm
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